UN: Männer wegen Bartlängen im Visier der Taliban-Moralpolizei
In Afghanistan geraten nach Einführung eines strengen Regelwerks durch die Taliban zunehmend Männer wegen unzulässiger Frisuren und kurzer Bartlängen ins Visier der Moralpolizei.
Im ersten halben Jahr nach Inkrafttreten des sogenannten Tugend-Gesetzes betrafen mehr als die Hälfte der willkürlichen Festnahmen das äussere Erscheinungsbild von Männern, wie die UN-Mission Unama in einem neuen Bericht dokumentiert.
Das Regelwerk war im August 2024 auf Anweisung von Taliban-Führer Haibatullah Achundsada eingeführt worden. Es schreibt unter anderem vor, dass Frauen ihren gesamten Körper einschliesslich des Gesichts verhüllen und nicht ohne männliche Begleitung reisen dürfen. Die Massnahmen sind Teil eines umfassenden Vorstosses zur Durchsetzung der Taliban-Interpretation des Scharia-Rechts. Unama-Chefin Rosa Otunbajewa kritisierte das Gesetz wiederholt scharf.
Laut Unama sind inzwischen rund 3.300 männliche «Kontrolleure» in 28 von 34 Provinzen im Einsatz, davon 540 allein in der Hauptstadtprovinz Kabul. Nur wenige Frauen seien im Rahmen des Tugend-Gesetzes als Kontrolleurinnen beschäftigt, heisst es weiter. Die Kontrolleure verfügen demnach über weitreichende Befugnisse, dürfen Personen bis zu drei Tage inhaftieren und Eigentum wie Musikinstrumente zerstören.
Enormer wirtschaftlicher Schaden durch Arbeitsverbote
Neben den gravierenden Auswirkungen auf Menschen- und Frauenrechte verweist der Bericht auch auf ökonomische Folgen. Eine Weltbank-Studie, auf die sich Unama bezieht, beziffert die wirtschaftlichen Verluste durch Arbeits- und Bildungsverbote für Frauen auf rund 1,4 Milliarden Dollar (1,27 Milliarden Euro) jährlich. Sowohl Frauen als auch Männer berichteten Unama, «dass dieser Ausschluss Familien ihrer Einkommensquellen beraube, die Armut verschärfe und zur Migration zwinge», heisst es.
Ein Sprecher des Tugendministeriums warf Unama «bösartige Ziele» vor und sprach im Zusammenhang mit dem Bericht von einer «Verwirrung der Öffentlichkeit», wie der Nachrichtensender Tolonews berichtete.
Bislang hat kein Staat weltweit die Taliban-Regierung offiziell anerkannt. Die Islamisten sind wegen ihrer Menschenrechtsverstösse, insbesondere gegenüber Frauen, international weitgehend isoliert. Während sie bei ihrer Machtübernahme im August 2021 noch eine gemässigtere Regierungsführung versprochen hatten, hat sich ihre Herrschaft inzwischen zu einem gefestigten autoritären System entwickelt.