Die March zur Zeit der Hochblüte der Stickerei
Der Abriss der «Lederi» in Buttikon erinnert an die Anfänge der Schifflistickerei in der March, welche die Region für immer veränderte. Es ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines ganzen Industriezweigs.
Martin Bruhin
In Buttikon, eingebettet zwischen Kantonsstrasse und Alte Landstrasse, stand fast 130 Jahre lang ein Fabrikgebäude, die sogenannte «Lederi». Vor Kurzem wurde sie dem Erdboden gleichgemacht, sie weicht wie so viele alte Gebäude neuem Wohnraum (wir berichteten). Die Fabrik stand sinnbildlich für den Aufstieg und Fall eines ganzen Industriezweigs in der Region. «Die Schifflistickerei in der March begann in Buttikon», sagt Bruno Spiess, Autor des Büchleins «Die Märchler Schifflisticker ». Und: «Sie war Türöffner für die Industrialisierung von Schübelbach, Buttikon und Tuggen.»
Günstige Arbeitsbedingungen
Der Industriezweig brachte plötzlich Wohlstand ins bäuerliche Dorf und von dort in die ganze March. Denn auf der Suche nach günstigen Arbeitsbedingungen begann die Firma Rohner aus dem St.gallischen Rebstein im Jahr 1896, hier den Bau eines Filialbetriebs ihrer Schifflistickerei. Doch war-um eigentlich? «Die March war zu die-ser Zeit ein Billiglohn-Gebiet», sagt er. Alle Gemeinden hätten Arbeitsplätze für ihre Einwohner gesucht.
Dabei kam das Dorf Buttikon der Firma Rohner wohl am weitesten entgegen. Zudem waren in der March schon seit den 1870-er Jahren Handstickmaschinen in Betrieb, sodass ein gewisses Verständnis für diese Arbeit vorhanden war, so Spiess.
«Industrialisierung des Stickens»
Spiess ist selbst Nachfahre eines ehemaligen Stickereibesitzers und weiss: «Die Schifflistickerei war sozusagen die Industrialisierung des Stickens ». Handstickmaschinen standen in Wohnhäusern. Für Schifflistickmaschinen brauchte es aber spezielle Gebäude, weil diese grösser und schwerer waren als die Handstickmaschinen und entsprechende Fundamente benötigten. «Das lange Gebäude der ‹Lederi› rührt daher, weil bei der Firma Rohner über dreissig Maschinen hintereinander standen», sagt er. Zudem seien Nebenräume für Lager benötigt worden. «Die Produktivität von Schiffli-stickmaschinen war rund achtmal grösser als von Handstickmaschinen», so Spiess. Mit dem Einsatz von Schifflistickautomaten habe man die Produktivität nochmals massiv steigern können.
Reichtum zur Schau gestellt
Die neue Technik – die übrigens im St. gallischen Uzwil erfunden wurde – war lukrativ. Bald realisierten junge Märchler, die bei der Firma Rohner ihr Handwerk gelernt hatten, dass in dieser Branche gutes Geld zu verdienen war. So entstanden in der March kleinere, aber auch grössere Schifflistickereien.
«Die Arbeitsbedingungen waren eher hart. Die Entlöhnung und vor allem das Sozialprestige aber hoch», sagt Spiess. Der Tageslohn eines Stickers war ein Vielfaches von dem eines Taglöhners. Der Reichtum, den die Stickereifabrikanten erzielten, wurde laut Spiess auch gerne zur Schau gestellt. So waren sie meistens Besitzer der ers-ten Automobile in den Dörfern. Doch auch die Sticker selbst genossen einen hohen sozialen Status. Trotzdem kam es hin und wieder auch zum Streik der Belegschaft.
Der Untergang der Industrie
Doch der Erfolg währte nicht ewig, das Ende der Schifflistickereien kam schleichend. Um das Jahr 1911 beschäftigte die Stickereiindustrie in der March rund 300 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, 1929 jedoch nur noch rund 40. «Die Blütezeit war circa von 1900 bis 1908/1910», sagt Spiess. Da sei richtig Geld verdient worden. Die meis-ten kleineren Märchler Betriebe seien aber zu spät gegründet worden.
Dann kam der Erste Weltkrieg und damit auch Einschränkungen im Export. Später kam laut Spiess noch ein Wechsel in der Mode dazu – Stickereiprodukte waren nicht mehr gefragt. Die Stickereien in der March waren – ausser der Fa. Rohner AG – alles Lohnbetriebe, die als Erstes die Krisen zu spüren bekamen. «Dank der Stickereitreuhandgesellschaft des Bundes wurde die Krise finanziell etwas gemildert », sagt Spiess. Diese kaufte notleidenden Fabrikanten die nun überzähligen Maschinen zur Verschrottung ab – die Fabrikbesitzer verpflichteten sich im Gegenzug dazu, in ihren Räumlichkeiten nie wieder eine Schifflistickmaschine zu betreiben.
Doch der Untergang war nicht mehr aufzuhalten: «Eine Schifflistickerei nach der anderen musste schliessen oder ging in den Konkurs», sagt er. Die Besitzer erlitten massive finanzielle Einbussen. Immerhin: Der Schifflistickerei Erhard Ruoss und der AG Zwirnerei Tuggen, als Nachfolgefirma der Schifflistickerei Spiess, sei ein Übergang in die Zwirnereibranche gelungen. Nach der Schliessung der Firma Rohner 1932 war die Schifflistickerei in der March aber Geschichte. Knapp 100 Jahre später verschwindet mit der «Lederi » nun auch der Ort, wo alles angefangen hat.
«Die March war zu dieser Zeit ein Billiglohngebiet.»
Bruno Spiess
Autor «Die Märchler Schifflistickerei»
«Die Arbeitsbedingungen waren hart, die Entlöhnung aber hoch.»