«Blöd gesagt, muss ich schlau trainieren»
Olaf Schürmann
Morgen Donnerstag muss er parat sein. Morgen ist wichtig, sehr wichtig sogar. Denn morgen startet in Magglingen die interne Qualifikation für die Europameisterschaft im Kunstturnen. Die EM findet dann gut einen Monat später in Leipzig, Deutschland, statt. Genauer gesagt, vom 26. bis 31. Mai.
Er ist parat. Am Sonntag vor der internen Ausscheidung im nationalen Sportzentrum treffe ich Kunstturner Marco Pfyl aus Pfäffikon im Café in Lachen. «Mir gehts im Moment sehr gut. Ich bin zufrieden, wie es in diesem Jahr läuft. Ich fühle mich total fit, bin gesund und kann mit Vollgas trainieren», sagt Marco Pfyl und strahlt.
Operationen und Olympia
Das war nicht immer so. Drei Operationen und geschätzt zehn bis 15 Verletzungen musste der 27-jährige Turner aus Pfäffikon schon überstehen. 2022 war es eine Knie-OP, die ihn ausser Gefecht setzte. 2023 folgte eine Schulter-OP. «Das letzte Jahr war allgemein ein schwieriges Jahr. Die Schulter hat nicht richtig funktioniert. Die Zeit wurde irgendwann zu knapp, um die Qualifikation für die Olympischen Spiele zu schaffen», zählt Pfyl auf. Eine Gürtelrose habe ihm dann 2024 auch nicht wirklich geholfen. Der grosse Traum platzt, aber die Schulter bekommt eine unverhoffte Erholungspause. Nach den Olympischen Spielen hatte der Kunstturner aus Pfäffikon endlich etwas Zeit. Es ist Ende August, es ist Ferienzeit. Eine Woche in Spanien und zwei Sportwochen von der Uni hätten Wunder bewirkt. «Ich war erst mit einem Freund in Spanien, danach noch eine Woche Tennis spielen in Tenero und im Anschluss Klettern in Andermatt. Einfach Weltklasse», ergänzt der Höfner Sportler.
Nach den Olympischen war der Druck raus, die nächsten Wettkämpfe waren weit weg. Die Intensität im Training war nicht mehr so hoch, beschreibt Pfyl. Wie gross der Druck war, spürt man, wenn Marco Pfyl von der Nach-Olympia-Zeit erzählt. «Der Spass stand wieder mehr im Vordergrund. Du darfst Fehler machen. Nicht jeder Versuch muss perfekt sein.» Diese Phase habe ihm einfach sehr gutgetan und seiner Schulter erst recht. Im vierten Quartal 2024 habe er die Basis legen können und sei daher endlich wieder topfit ins neue Jahr gestartet.
Abschied und Alter
Nach den Olympischen Spielen ist eine Zeit der Erholung und eine Zeit der Abschiede. Die beiden Schweizer Kunstturner Taha Serhani und Christian Baumann treten zurück. Beide sind bei ihrem Rücktritt 29 Jahre alt. Serhani gehörte seit 2015 zum Nationalkader Kunstturnen in Magglingen. Baumann feierte seinen grössten Erfolg mit dem Gewinn der Silbermedaille am Barren bei den Turn-Europameisterschaften im selben Jahr in Montpellier.
Pfyl ist seit Januar 2017 Teil des Nationalkaders des Schweizer Turnverbandes. Pfyl ist 27. Gehört er schon zum «alten Eisen»? Kurze Antwort: «Ja.» Aber Pfyl lacht dabei. «Ich habe das Gefühl, ich wäre gerade erst in Magglingen angekommen, und bin jetzt mit Benjamin Gischard, der Jahrgang 1995 ist, einer der absolut Ältesten », erzählt der Barren-Spezialist.
Apropos Barren: Boden, Reck und Barren sind seine Spezialdisziplinen. Helfen das Alter, die Erfahrung, beim Mehrkampf? «Schwierig. Erfahrung kann mir sicherlich dabei helfen, zu wissen, wie viel ich an einem Gerät investieren muss. Aber gleichzeitig kann ich meinen Körper nicht mehr so belasten wie mit 20», verdeutlicht Pfyl. Dies sei auch beim Training so. «Blöd gesagt, muss ich schlau trainieren.» Bis maximal 30 könne man im Kunstturnen im Mehrkampf mitmischen, da-nach müsste man sich auf ein, zwei Geräte spezialisieren.
Training und Titelkämpfe
Im Vergleich zu früher hat Marco Pfyl sein Trainingspensum reduziert. Wenn wir von einem reduzierten Training sprechen, reden wir immer noch von 22 bis 25 Stunden. Zehn Einheiten pro Woche. Von Sonntagabend bis Samstagmittag lebt der Pfäffiker in Magglingen. Doch während es früher darum gegangen sei, möglichst viele Wiederholungen abzuspulen und viele neue Elemente zu lernen, seien es heute nur noch einige wenige Elemente, die pro Gerät hinzukommen. «Erste Priorität hat ganz klar der Leistungserhalt. » Im März war Pfyl elf Tage im Trainingslager in San Francisco. Dort fand der erste Testwettkampf der Saison an. Bei einem College-Wettkampf konnte jeder Schweizer Nationalturner an zwei, drei Geräten seine Übung machen. «Das war unser Startschuss in die Wettkampfsaison. Am Donnerstag und Samstag gehts dann richtig los, dann ist die EM-Quali in Magglingen», erzählt der Höfner. Ausserdem turnt Pfyl Ende April an einem internationalen Wettkampf in Kairo, Ägypten, und am Eidgenössischen Turnfest in Lausanne. Pfyl ist ETF-Experte. Er war schon 2007 als Junior beim ETF in Frauenfeld. 2013 in Biel musste er aller-dings verletzt passen. 2019 in Aarau war Pfyl dabei. Mitte Juni in Lausanne auch. Pfyl startet im Mehrkampf. Zurück zur internen Qualifikation in Magglingen. Wie stehen die Chancen? «Wir sind sehr eng beieinander. Zehn Kunstturner nehmen an der internen Quali teil, fünf fahren zur EM», beschreibt Pfyl. «Ich bin fit. Wenn ich meine Leistung bringe, sind meine Chancen gut.» 50:50? Pfyl lacht und antwortet: «Ja, 50:50, vielleicht ein bisschen besser.» Das Frühjahr im Zeitraffer: EM-Qualifikation schaffen und an der EM teilnehmen. Dann das ETF in Lausanne. Der Herbst ist noch weit weg, aber vom 19. bis 25. Oktober findet im indonesischen Jakarta die WM statt. Und wie lange geht das so weiter? «Mein Traum ist es, 2028 an den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles meine Karriere zu beenden.» Dann ist Marco Pfyl 30 Jahre alt.
Kunstturner Marco Pfyl aus Pfäffikon ist endlich wieder fit. Die Schulter hält, das Training macht Spass. Morgen und am Samstag ist die interne Qualifikation für die EM in Leipzig. Da will Pfyl unbedingt hin.
«Ich bin gesund und kann mit Vollgas trainieren.» «50:50, vielleicht ein bisschen mehr.»