Die Quartierstrasse hat plötzlich einen neuen Besitzer
Selbst ernannter «König der Schweiz» besitzt 26 herrenlose Grundstücke im Kanton Schwyz – vor allem Quartierstrassen. Welche Rechte haben die Anwohner? Eine Juristin klärt auf.
Patrizia Baumgartner
Jonas Lauwiner hat sich kürzlich zahlreiche «herrenlose Grundstücke» im Kanton Schwyz unter den Nagel gerissen (wir berichteten). Laut eigener Aussage will der 30-Jährige mit diesen rund 19000 Quadratmetern über den ganzen Kanton Schwyz verteilt nichts Konkretes machen, da es sich aber um viele Quartierstrassen handelt, herrscht bei den Anwohnern Ungewissheit, was der neue Eigentümer mit «seinen» Strassen künftig vorhaben könnte.
Schwyzer Landpreise sind hoch – eigentlich
Können Anwohner weiterhin ihre Quartierstrasse nutzen? Oder müssen sie mit Einschränkungen oder zusätzlichen Kosten rechnen? Um diese Fragen zu klären, haben wir bei Vera Theiler, Rechtsanwältin bei der Pfister & Partner Rechtsanwälte AG in Pfäffikon, nachgefragt.
«Es gibt nicht so viele herrenlose Grundstücke, da im Kanton Schwyz die Landpreise hoch sind», erklärt sie. Wo es solche Flächen gibt, handle es sich häufig um Strassenstücke. Da das Gesetz ausdrücklich vorsieht, dass man sich herrenlose Grundstücke aneignen kann, hat Lauwiner die Grundstücke auf legalem Weg erworben. Wenn der Erwerb im Amtsblatt veröffentlicht wird, ist er abgeschlossen. Man kann gegen einen Eigentumserwerb keine Einsprache machen, betont die Juristin. Da die Grundstücke früher «herrenlos» waren, gab es auch keinen Kaufpreis für die entsprechenden Grundstücke.
Rechte haften an Grundstück
Grundsätzlich dienen Strassen nur einem Zweck – und zwar der Erschliessung. Dabei geht es um Fuss- und Fahrwegrechte auf der Strasse und oft auch um Leitungsrechte im Untergrund.
Ob es mit einem neuen Eigentümer der Strasse auch Probleme für die Anwohner geben könne, könne nicht generell gesagt werden. Massgebend sei der Einzelfall.
Theiler erklärt: «Wenn Fuss- und Fahrwegrechte im Grundbuch eingetragen sind, bleibt das auch nach einem Eigentümerwechsel so. Diese Rechte haften am Grundstück, unabhängig davon, wem es gehört.» Anders sieht es aus, wenn solche Rechte nicht eingetragen sind. Dann könnte es für Anwohner kompliziert werden – etwa, wenn der neue Eigentümer Gebühren verlangt oder den Zugang erschweren will.
Warum fallen herrenlose Strassen nicht auf?
Dass die Anwohner im Vorfeld nicht wussten, dass ihre Quartierstrasse «herrenlos» war, überrascht die Rechtsanwältin nicht. «Solange die Strasse genutzt werden kann und kein Sanierungsbedarf besteht, fällt das oft gar nicht auf.» Schneeräumung und kleinere Reparaturen werden meist informell zwischen den Anrainern organisiert, das funktioniere auch ohne die Gründung Flurgenossenschaft oder einer Strassengemeinschaft.
Information ist öffentlich
Grundstücke können aus diversen Gründen «herrenlos» werden, zum Beispiel durch Tod oder unbekannten Verbleib des Eigentümers oder auch durch Verschuldung oder schlichten Verzicht auf das Grundstück.
Das zugehörige Notariat könnte die Vorgeschichte eines jeden Grundstücks rekonstruieren. Die aktuellen Grundeigentümer sind öffentlich, fast alle Eigentümer können im Schwyzer Geoportal für jedes Grundstück einzeln angezeigt werden. Genau so hat Lauwiner die ehemals «herrenlosen Grundstücke » gefunden und sich diese darauf angeeignet.
Rückkauf macht nicht immer Sinn
Viele Anwohner sind nun verunsichert, ob sie ihre Strasse zurückkaufen müssten. Doch Vera Theiler gibt Entwarnung: «Solange alle Rechte im Grundbuch eingetragen sind, besteht kein dringender Grund für einen Rückkauf. » Ein gewisses Risiko bleibe jedoch bestehen: «Auch wenn ich im Recht bin, kann es passieren, dass der neue Eigentümer versucht, meine Nutzung einzuschränken. Dann hätte ich zusätzlichen Aufwand, um mein Recht durchzusetzen.» Fazit: Jonas Lauwiner machte sich die Regelung der «herrenlosen Grundstücke » in Schwyz und anderen Kantonen zunutze. Laut seiner Auskunft hat er mit 26 Grundstücken nun alle ehemals «herrenlosen» in diesem Kanton unter seiner Herrschaft vereinigt. Rechtlich steht er damit auf sicherem Boden, doch für manche Anwohner bleibt ein mulmiges Gefühl zurück.