«Lake Placid wäre der Anfang vom Ende gewesen»
Was kaum einer für möglich gehalten hätte: Letzte Woche wird erstmals auf der neuen Olympiabahn in Cortina gefahren. Zu den Ersten gehört die Rennrodlerin Natalie Maag. «Es war mega cool», sagt sie.
Noch vor drei Wochen, als Natalie Maag nach dem letzten Weltcup an einem Strand in Thailand lag und ihr eine italienische Rodler-Kollegin Bilder aus Cortina d’Ampezzo zeigte, war sie sich sicher, dass auf keinen Fall noch im März auf der Olympiabahn vom kommenden Jahr gefahren werden kann. Und doch stand sie am letzten Dienstag mit ihrem Schlitten genau da.
Maag gehörte zu den privilegierten (oder wagemutigen) Rodlern, Bob- und Skeletonfahrern, die sich als Erste in den neusten Eiskanal der Welt stürzen durften – wie schon vor vier Jahren in Yanqing für die Spiele in Peking. Der Unterschied könnte aber kaum grösser sein. In China war bei den ersten Fahrten ein Jahr vor den Spielen alles komplett fertig, in Cortina trafen die Sportler eine grosse Baustelle an. Die ersten Fahrten erfolgten immer von weit unten, für die Rodler vom Juniorenstart. «Die ersten fünf Kurven hätte man aber auch nicht fahren können, da war das Eis noch nicht parat», erzählt Maag gegenüber Keystone-SDA.
Ein kleines, teures Wunder
Dass die Bahn in Cortina überhaupt steht, grenzt an ein Wunder. Das IOC hatte sich gegen den Bau eines neuen Eiskanals ausgesprochen, nachdem derjenige der Spiele 2006 in Turin schon nach wenigen Jahren nicht mehr benutzt und zur Ruine geworden war. Die rechtsnationale Regierung in Rom wollte aber auf keinen Fall – und erstmals in der Geschichte der Olympischen Spiele – Wettkämpfe im Ausland und boxte das Projekt einer neuen Bahn in Cortina durch. In Rekordzeit wurde in zehn Monaten für über 100 Millionen Euro ein neuer Eiskanal konstruiert.
«Ausser der Bahn ist noch nichts fertig», sagt Maag lachend. Zum Start musste sie über eine kleine Leiter, die Schlitten wurden mit einem Kran hochgehoben, und die Trainer bastelten sich behelfsmässige Podien, um die Fahrten der Athleten sehen und filmen zu können. Dennoch ist die 27-jährige Zürcher Oberländerin froh und dankbar, dass in Cortina gefahren werden kann und nicht der Plan B – Olympiarennen in Lake Placid, USA – zum Zug kommt. «Das ist extrem wichtig. Rennen in Übersee wären der Anfang vom Ende für die Eiskanal-Sportarten bei Olympia gewesen», ist Maag überzeugt.
Verbesserungen angeregt
Mit jedem Tag konnten die Athleten von weiter oben starten, insgesamt absolvierte Maag neun Fahrten auf der gesamten Länge. Jeden Abend tauschten sich die Fahrer in Sitzungen untereinander, mit den Funktionären der Verbände und den Bahnbetreibern aus. Das Feedback ist wichtig, um an der Bahn noch Verbesserungen anbringen zu können. Maag, die Gesamtweltcup-Fünfte (zwei Postplätze) der vergangenen Saison rechnet damit, dass die Zeiten bis in einem Jahr noch um etwa fünf Sekunden besser werden. Zum Vergleich: In Yanqing beträgt der Unterschied zwischen den ersten Fahrten und dem aktuellen Bahnrekord drei Zehntelsekunden.
«Die Bahn hat einen schönen Rhythmus. Sie ist sicher lässig zu fahren», findet die einzige Schweizer Rennrodlerin im Weltcup. «Die Frage ist einfach, wie sie sich fährt, wenn wir noch schneller sind.» Am meisten Sorgen bereite noch die Kurve 4. «Im Einfahrtbereich ist sie mega schlecht gebaut. Du kommst gar nicht richtig in die Kurve hoch.» Alle seien dieser Meinung, auch die Bob- und Skeletonfahrer. Es sei ins Protokoll geschrieben worden, dass man «eingangs Kurve vier am Betonausbau etwas ändern muss und es bei der Ausfahrt mehr Eis braucht». Das Problem: «Die Italiener sagen immer ‘doch, das ist schon fahrbar’ und erhoffen sich wohl auch einen Vorteil für ihre Fahrer», glaubt Maag.
Medaille im Fokus
So oder so spricht sie von einer «sehr coolen Woche». Der Austausch untereinander sei viel enger als sonst gewesen, sie hätten auch jeden Abend zusammen Karten gespielt. Im Oktober ist eine Trainingswoche für alle geplant, im November ein Testevent. Da sich noch einiges ändert, verspricht sich Maag durch ihre Einladung an die Vor-Homologierung keinen grossen Vorteil wie noch in Peking. An ihr grosses Ziel, eine Medaille, glaubt sie dennoch fest.
Bis dann haben sie und die Bahnbetreiber noch viel Arbeit vor sich. Dass nun definitiv in Cortina gefahren werden kann, freut aber alle.