Christian Witzig, der beste St. Galler Skorer
Der St. Galler Offensivspieler Christian Witzig gehört zu den attraktivsten Spielern in der Super League. Dennoch besteht keine Gefahr, dass er abhebt.
8. März 2025, es läuft die 66. Minute im Heimspiel gegen die Grasshoppers, Christian Witzig trifft nach einer schönen Kombination aus rund 18 Metern herrlich zum 3:1. Schon zuvor hat er in dieser Saison in der Super League mit Traum-Toren brilliert. Insgesamt war er siebenmal erfolgreich, dazu kommen sieben Assists. Nur drei Spieler weisen in der laufenden Meisterschaft mehr Skorerpunkte aus als Witzig – die klare Nummer 1 ist Xherdan Shaqiri mit neun Toren und zwölf Assists.
In der Saison 2021/22 spielte der 24-jährige Witzig noch vorwiegend in der 1. Liga Classic, der vierthöchsten Liga im Schweizer Fussball. Dennoch möchte er nicht von einer grossen Entwicklung sprechen. «Es ging Schritt für Schritt vorwärts», sagt er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Das kommt mit dem Vertrauen des Vereins. Dadurch kann ich meine Qualitäten auf den Platz bringen. Zu Beginn fehlte noch etwas die Unbeschwertheit.»
Beidfüssig und dynamisch
Als die grösste Stärke bezeichnet Witzig seine Unberechenbarkeit. Diese kommt nicht von ungefähr. Schon in der Kindheit versuchte er mit dem Ball Dinge, die andere nicht machen. Zudem war ihm Beidfüssigkeit wichtig und ist er läuferisch stark. In einer von SkillCorner durchgeführten Analyse von 30 verschiedenen Ligen weltweit belegte er in der Kategorie «dynamischster Mittelfeldspieler» hinter dem Dänen Oliver Sörensen den 2. Platz. Dabei wurde gemessen, wer mit einem Speed von über 20 km/h am meisten Laufmeter abspult.
Witzig führt dies darauf zurück, dass er als Profi gelernt hat, nicht nur offensiv zu denken. Er gibt nun in beide Richtungen Vollgas. «Dann bin ich ein Spieler, der viel in die Tiefe läuft, auch wenn ich den Ball nicht erhalte, und der viel Pressing betreibt», so Witzig, der über sich sagt, dass er von Natur aus nicht mega schnell sei. «Ich versuche jedoch, auch in den Trainings immer 100 Prozent zu geben.»
Schwierige Saison genutzt
Ausserdem nutzte er die schwierige Saison 2021/22 optimal. Vor dem Start in die Vorbereitung auf diese erkrankte er am Pfeifferschen Drüsenfieber. Im Januar erwischte ihn das Coronavirus, im März verletzte er sich am Knie, was eine zweimonatige Pause zur Folge hatte. Witzig machte aus der Not eine Tugend und legte deutlich an Muskelmasse zu. «Ich war früher sehr dünn. In der Jugend kann das noch kompensiert werden, wenn man besser ist. Aber in der Super League geht das nicht mehr», sagt er.
Witzig begann schon mit vier Jahren mit Fussball. Sein erster Verein war der FC Tägerwilen, ehe er sich via dem FC Münchwilen und Wil im Jahr 2015 St. Gallen anschloss. Von einer Profikarriere träumte er schon früh: «Als Kleiner sagte ich zu meinen drei Schwestern, dass ich irgendwann dermassen viel Geld verdienen werde, dass ich allen eine Million oder so abgebe. Wenn man älter wird, wird es dann wieder unrealistischer. Es war ein Auf und Ab.»
Die Eltern, er ist der Sohn eines Pfarrers, unterstützten ihn zwar immer im Fussball, ebenso wichtig war ihnen aber, einen Plan B zu haben. Deshalb war es für Witzig klar, die vierjährige Lehre als Konstrukteur zu beenden. Danach besuchte er noch ein Jahr die Berufsmaturitätsschule. Nun ist er Vollprofi, obwohl er sich ein Fernstudium durchaus vorstellen könnte. Leben tut er in einer Wohngemeinschaft mit einem guten Kollegen aus der Oberstufe, der in St. Gallen studiert. «Das hilft mir, Abstand vom Fussball zu haben», sagt Witzig. Er geht auch gerne allein spazieren. Musik hilft ihm ebenfalls, um abzuschalten.
Kindheitstraum in Erfüllung gegangen
Dank den starken Leistungen erhielt er ihm vergangenen Oktober erstmals ein Aufgebot fürs Nationalteam und gab im Heimspiel gegen Dänemark sein Länderspiel-Debüt – er wurde in der 89. Minute eingewechselt. Damit ging für ihn ein Kindheitstraum in Erfüllung. Noch spezieller machte das Ganze, dass die Partie in St. Gallen stattfand.
«Besser hätte es nicht sein können», erzählt Witzig. Er sog in diesem Zusammenzug alles auf, was er konnte. «Es war spannend für mich, mit solchen Stars zusammen zu sein.» Hat er Granit Xhaka etwas abgeschaut? «Ich bin der Meinung, dass es nichts bringt, etwas zu kopieren. Jeder Spieler hat seine Qualitäten.» Beeindruckt war er allerdings von dessen Aura und Abgeklärtheit.
Wo sieht er bei sich noch das grösste Steigerungspotenzial? «Ich möchte konstanter sein. Bei der Passgenauigkeit habe ich sicherlich noch Luft nach oben. Und dass ich konzentrierter bin über das gesamte Spiel, ich auch die einfachen Sachen stets richtig mache.» Witzig ist sich bewusst, wie schnelllebig der Fussball ist und sagt deshalb: «Ich bilde mir nichts darauf ein, dass es in letzter Zeit so gut läuft.»
Ohnehin gehört für ihn zu den wichtigsten Werten, auf dem Boden zu bleiben, immer zu wissen, woher man kommt. «Meine Erziehung hat mir Stabilität gegeben im Leben», so Witzig. Auch die älteren Schwestern, die alle in sozialen Berufen tätig sind, haben ihn stark geprägt.
Wenn Wechsel, dann wohl überlegt
Es kommt also nicht von ungefähr, dass ihm das Umfeld, in dem er sich bewegt, sehr wichtig ist. In der Schweiz kommt für ihn kein anderer Verein als St. Gallen in Frage. Sein Vertrag bei den Ostschweizern läuft noch bis 2027. Wie stark lebt der Traum vom Ausland? «Schon sehr. Mein Ziel war schon immer, mal in einer Top-5-Liga zu spielen. Dafür muss jedoch vieles passen. Einen zu grossen Schritt des Status wegen zu machen, ist nicht meine Absicht. Am realistischsten in nächster Zeit wäre wohl ein Wechsel in die Bundesliga.»
Vorerst gilt sein ganzer Fokus aber St. Gallen. Der nächste Gegner ist am Samstag auswärts der wiedererstarkte Titelverteidiger Young Boys. Die Ostschweizer sind auf Punkte angewiesen, um noch den Sprung in die Top 6 zu schaffen und sich damit für die Meisterrunde zu qualifizieren. Aktuell belegt der FCSG mit einem Rückstand von drei Zählern auf den sechstklassierten FC Zürich den 8. Tabellenrang. «Aktuell kann jeder gegen jeden gewinnen», sagt Witzig. Umso wichtiger wären weitere schöne Tore von ihm.