Teurer Valentinstag: Vom Blumenladen ins Gericht
Urs Schnider
Es ist Valentinstag 2024. Ein damals 54-jähriger Mann lenkt in der Region mittags um 12 Uhr sein Auto von einem Blumengeschäft zu seinem Wohnort, einem schmucken Einfamilienhaus. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten. Zum Zeitpunkt der Fahrt hat der Mann laut einem Strafbefehl des Untersuchungsamts Uznach «mindestens 1,79 Promille» intus. Das bestreitet er und ficht den Strafbefehl an, der Fall landet somit vor dem Kreisgericht See- Gaster.
An diesem Freitagmorgen vor Gericht trägt der Mann Jeans, Turnschuhe, einen beigen Pulli, unter dem sich sein drahtiger Oberkörper abzeichnet. Geboren sei er in Hongkong, wo er auch die Schulen besucht habe. Später lebte er in Grossbritannien und den USA. Dort schloss er sein Wirtschaftsstudium ab. Für die Verhandlung beansprucht er einen Dolmetscher.
Viele Fragen beantwortet er nicht
Heute sei er freiberuflicher Vermögensverwalter, gibt der Beschuldigte auf die Frage des Einzelrichters an. Angaben zu seinem Einkommen und Vermögen macht er nicht. Auch ob er Schulden habe oder vorbestraft sei, quittiert er mit einem: «No Comment.» Als ihm der Richter erklärt, dass er hier sei, weil er mit seinem Auto gefahren sei, obschon er mindestens 1,79 Promille Alkohol im Blut hatte, sagt er: «Das stimmt nicht.» Dann beschreibt er auf Geheiss des Richters, was an jenem Morgen gelaufen sei. «Ich bin mit dem Hund auf den Friedhof, habe das Grab meiner Eltern besucht.» Danach ging er nach Hause. Später sei er zum Coop gefahren und anschliessend zum Blumenladen. Er hatte dort Blumen für 76 Franken gekauft und mit der Karte bezahlt. Das war kurz vor zwölf Uhr.
Bereits um 12.13 Uhr klingelt laut Strafbefehl die Polizei an der Türe des Mannes. Im Rapport schreiben die Beamten, der Mann habe stark nach Alkohol gerochen, eine verwaschene Aussprache und ein stark gerötetes Gesicht gehabt, und seine motorischen Fähigkeiten seien verlangsamt gewesen.
Vergleichbare Aussagen hatten auch die beiden Verkäuferinnen gemacht, die auch die Polizei informierten. Sie rochen ebenfalls Alkohol bei dem Mann und sahen, dass er grosse Mühe hatte, das Zahlterminal im Laden zu bedienen. Zudem habe er gewankt, als er zu seinem Auto ging, und Schwierigkeiten gehabt beim Einsteigen. Erstellt ist seine Fahrt auch, weil diese teilweise von einer Überwachungskamera gefilmt wurde. Jedenfalls gibt es in den Akten ein entsprechendes Fotoblatt.
«Erst zu Hause getrunken»
Der Beschuldigte erzählt die Geschichte etwas anders. Er sei tatsächlich bei dem Blumenladen gewesen und auch heimgefahren. Dort habe er das Auto in die Garage gestellt und sei dann an seinem Weinkeller vorbeigelaufen. Dort habe er aus Frust Wodka geholt und getrunken. Zur Menge sagte er vor Gericht «einige Schlucke». In früheren Einvernahmen hatte er noch angegeben, es sei etwa eine halbe Flasche gewesen. Darauf vom Richter angesprochen, sagt er: «Es waren grosse Schlucke. » Das anscheinend auffällige Gehverhalten versuchte sein Verteidiger so zu erklären: Sein Mandant habe eine diagnostizierte Arthritis im linken Knie, das mehrfach operiert worden sei, und verwies auf ein Arztzeugnis, das dies bestätige. Der anscheinend wahrgenommene Geruch nach Alkohol stehe wohl mit dem «für seine Verhältnisse exzessiven Alkoholkonsum am Vorabend» im Zusammenhang. Und schliesslich: Die verzögerte Reaktion im Gespräch liege daran, dass er das Gehörte innerlich jeweils in seine Muttersprache übersetzen müsse und das Gesagte wiederum ins Deutsche.
Verteidiger sät Zweifel
Weiter sagte der Verteidiger: Die Nachtrunkbehauptung seines Mandanten sei «gutachterlich gestützt», weshalb eine Fahrt im angetrunkenen Zustand nicht rechtsgenügend nachgewiesen werden könne. Der Verteidiger forderte einen vollumfänglichen Freispruch unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten des Staates.
Der Verteidiger versuchte auch, die Zeitangaben im Polizeirapport in Zweifel zu ziehen. Er rechnete vor, dass die Polizei um 12.13 Uhr an der Türe geklingelt haben wolle, dass um 12.30 Uhr die Entnahme von Blut- und Urinprobe verfügt worden sei. Im Spital Linth angekommen, sei die Polizei mit seinem Mandanten aber erst um 13.26 Uhr. Da ergäben sich doch einige Fragen zur Richtigkeit des zeitlichen Ablaufs, sagt der Verteidiger mit fast schon triumphierender Miene. Die Fahrt vom Wohnort seines Mandanten zum Spital betrage laut Google Maps ja lediglich 17 Minuten. Für ihn sei deshalb klar, dass «hier etwas nicht stimmen » könne.
Der Beschuldigte sagte nach dem Vortrag seines Verteidigers in seinem letzten Wort vor der Urteilsverkündigung: So unglaublich diese Geschichte klinge, es sei so passiert. Seine Frau wäre sogar bereit gewesen, eine schriftliche Erklärung über seinen Zustand abzugeben. «Sie wurde nie über meinen Zustand befragt, in welchem ich heimkam.»
Über 30 000 Franken Geldstrafe
Der Einzelrichter liess sich nicht beeindrucken. Nach kurzer Beratung eröffnete er das Urteil, das den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgt: Der Beschuldigte wird des Fahrens in angetrunkenem Zustand schuldig gesprochen. Es wird ihm eine Geldstrafe in der Höhe von 30 600 Franken auferlegt, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von drei Jahren. Trotzdem wird der Mann zur Kasse gebeten. Er muss eine Busse von 6120 Franken sowie Verfahrenskosten in der Höhe von knapp 4200Franken berappen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, für den Mann gilt die Unschuldsvermutung.
In seiner mündlichen Begründung zum Urteil wurde der Einzelrichter deutlich. Das Gutachten sage nicht aus, dass der behauptete Nachtrunk nicht erfolgt sei. Es sage nur aus, dass falls er nicht erfolgt sei, der Beschuldigte mindestens 1,79 Promille Alkohol im Blut hatte.
«Absolut unglaubwürdig»
Für ihn gebe es zudem keinen Grund, den genannten Rapporteintrag der Polizei (12.13 Uhr) anzuzweifeln. Die Polizei habe dort auch aufgeführt, dass der Beschuldigte angegeben habe, seit er zu Hause sei, habe er nicht getrunken. «Er hat erst später einen Nach-trunk geltend gemacht», so der Richter. Weiter sei er vor dem Spital noch auf den Stützpunkt in Schmerikon gebracht worden. Der Zeitablauf sei somit erstellt. Auch erwähnte er noch einmal die Aussagen der Verkäuferinnen. Zusammen mit dem Polizeirapport ergäben diese Aussagen «starke Anzeichen einer Trunkenheit».
Der behauptete Nachtrunk «ist absolut unglaubwürdig und damit eine Schutzbehauptung». Und dann noch ein letzter Hinweis, so der Richter weiter: «Ihre Frau wurde nicht befragt, weil sie ja gemäss Ihrer Aussage geschlafen hat. Sie hätte somit keine schriftliche Bestätigung über Ihren Zustand machen können, als Sie heimkamen. » Ob sie gegen das Urteil in Berufung gehen werden, wollten der Beschuldigte und sein Verteidiger am Freitag nicht sagen. Das müssten sie zuerst besprechen.
Ein Anlageberater steht wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand vor dem Kreisgericht See-Gaster. Die Beweislast ist erdrückend. Er sagt, er habe erst zu Hause getrunken, eine halbe Flasche Wodka.
«Der behauptete Nachtrunk ‹ist absolut unglaubwürdig und damit eine Schutzbehauptung›. »
Richter
Kreisgericht See-Gaster