«Integration scheitert dort, wo man sich ihr gegenüber verschliesst»
Eugen von Arb
Bei der Teilrevision des Personalund Besoldungsgesetzes ist die Lohnfrage in den Vordergrund gerückt. Mit welchen anderen Massnahmen will die Regierung den Lehrberuf im Kanton Schwyz attraktiver machen?
Die Lohnfrage ist Bestandteil eines Pakets mit insgesamt 13 Massnahmen, die von drei Gremien umgesetzt werden. Für sieben Massnahmen ist der Erziehungsrat zuständig. Dazu gehören unter anderem der Reformstopp, die Senkung der administrativen Belastung sowie die Verlängerung befristeter Lehrbewilligungen bis 2029. Weitere vier Massnahmen, die bereits diesen Sommer in Kraft treten werden, hat die Regierung in ihrer Kompetenz beschlossen. Dazu gehört die zusätzliche Entlastungslektion für Klassenlehrpersonen sämtlicher Stufen. Über zwei weitere Massnahmen entscheidet das Parlament beziehungsweise das Volk an der Urne: die Lohnerhöhung für Lehrpersonen sowie die Vorverlegung des Kündigungstermins. Aus der Sicht der Regierung handelt es sich um ein Bündel von ausgewogenen Massnahmen, um den Kanton Schwyz als Arbeitsort für Lehrpersonen attraktiver zu machen.
Tut der Kanton Schwyz genug gegen den Lehrpersonenmangel, beziehungsweise: Wie steht Schwyz im Vergleich zu anderen Kantonen?
Wir beobachten ständig, was in unserem Umfeld passiert, um nicht in eine nachteilige Situation zu geraten. Graubünden, Zürich und Luzern haben ebenfalls ihre Anstellungsbedingungen verbessert. Dass der Lohn bei der Wahl des Arbeitsortes nicht das wichtigste Argument ist, zeigt auch der Kanton Zürich, wo der Lehrpersonenmangel trotz deutlich höherer Gehälter im Verhältnis viel grösser ist. Wir haben im Vorfeld zur Massnahmenerarbeitung eine Vollbefragung unter Lehrpersonen und Schulleitungen durchgeführt. Bei hoher Beteiligungsquote von 80 Prozent (rund 1800 Teilnehmende) zeigte die Auswertung, dass der Lohn als Kriterium für die Arbeit als Lehrperson erst an fünfter Stelle genannt wurde. Es herrscht generell Fachkräftemangel in der Schweiz. Doch im Gegensatz zur Privatwirtschaft, wo man sich der Situation eher anpassen kann, muss der Kanton seinen gesetzlichen Bildungsauftrag erfüllen. Wie im Gesundheitsbereich oder anderen öffentlichen Versorgungsbereichen müssen wir die Ressourcen bereitstellen, weil ansonsten Schule nicht stattfinden kann.
Auch der Kanton Schwyz bildet Lehrpersonen aus – wie entwickelt sich die PH Schwyz?
Im schweizweiten Vergleich ist die PH Schwyz eine kleine Hochschule, aber sie ist sehr innovativ und erfolgreich, da sie sehr agil auf veränderte Situationen reagieren kann. Zum Beispiel hat sie als schweizweit erste Pädagogische Hochschule ein Fernstudium entwickelt, das im letzten Herbst lanciert wurde und innert weniger Stunden ausgebucht war. In sämtlichen Studiengängen der PH Schwyz wurden rekordhohe Anmeldezahlen verzeichnet. Es ist wichtig, dass Studierende bereits während der Ausbildung erkennen, dass im Kanton Schwyz ein attraktives Umfeld für eine künftige Anstellung besteht. Zumal sie während der umfangreichen Praktika im Kanton Schwyz die Möglichkeit ha-ben, mit den Schulen in unseren Gemeinden in engen Kontakt zu kommen.
In der Schweiz steht das lange praktizierte Integrationsmodell in der Diskussion. Ist der Einbezug von Kindern mit Beeinträchtigungen an Schwyzer Schulen ein Erfolg?
Die schulische Integration ist ein gesetzlicher Auftrag. 2022 haben wir das Volksschulgesetz teilrevidiert und dabei den Grundsatz der schulischen Integration explizit verankert. Somit set-zen wir den Auftrag «Integration vor Separation» um. Oft wird jedoch nicht über dasselbe gesprochen. Beispielsweise wurde kürzlich im Kantonsrat über die Heterogenität in Schulklassen und die Belastung von Kindergartenlehrpersonen diskutiert, die mit verhaltensauffälligen Kinder arbeiten oder mit Kindern, denen sie die Windeln wechseln oder beim Schuhe bin-den helfen müssen. Das hat jedoch nichts mit der schulischen Integration zu tun, bei der Kinder mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen nach Möglichkeit und mit Betreuung in den regulären Unterricht in ihrem Wohnort integriert werden sollen. Was auf dem Papier festgelegt wurde, ist in der Umsetzung tatsächlich anspruchsvoll. Dazu braucht es die Bereitschaft der Fachpersonen, Eltern und Schulen, gemeinsam massgeschneiderte Bedingungen und das passende Setting für die beeinträchtigten Kinder zu finden. Das ist sehr aufwendig, aber es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass es funktioniert. Die Integration scheitert meistens dort, wo man sich ihr gegenüber von Anfang an verschliesst oder die erforderlichen Ressourcen nicht bereitstehen, weil auch hier dringend heilpädagogisches Fachpersonal gesucht wird. Wir sind aber in jedem Fall bereit, zusammen mit den Eltern, den Schulbehörden und den Fachpersonen an einem Tisch die richtige Lösung zu suchen.
Der Schwyzer Erziehungsrat ist in der Kritik, die FDP fordert gar seine Abschaffung – wo geben Sie den Gegnern dieser Institution recht, wo nicht?
Ich kann nachvollziehen, dass man die Kompetenzordnung zwischen Regierung, Departement, Parlament, Erziehungsrat und der Kommission für Bildung und Kultur hinderlich findet. Wenn alle diese Institutionen sich mit demselben Themenfeld befassen, kann das sehr bemühend sein, und es kann der Eindruck entstehen, dringende Anliegen würden verschleppt. Lange Zeit lief der Erziehungsrat etwas «unter dem Radar» der Öffentlichkeit, weil er viele operative Aufgaben erfüllt, wie etwa die Erteilung von Betriebsbewilligungen für private Volksschulen und Lehrbewilligungen oder generell die Aufsicht über das Volksschulwesen. Bezüglich Lehrpersonenmangel hat der Erziehungsrat eine Umfrage durchgeführt, was manche für unnötig hielten und kritisierten. Dabei nahm er einfach seine Rolle wahr,indem er 20 Jahre nach der letzten Umfrage dem Problem auf den Grund ging, um ursachengerechte und gezielte Massnahmen treffen zu können. Wenn man den Erziehungsrat abschafft, bleiben die Aufgaben trotzdem bestehen und müssen neu verteilt werden. Ich war immer offen für Veränderungen, möchte aber darauf hinweisen, dass 2022 bei der Teilrevision des Volksschulgesetzes auch die Kompetenz- und Aufgabenregelung für den Erziehungsrat bestätigt wurde.
Manche Politiker machen auch die Migration für Schulprobleme verantwortlich – wie sehen Sie das?
Das ist sicherlich eine Tatsache, denn generell nehmen die Schülerzahlen zu und damit auch die Zahl von Kindern aus Migrationsfamilien. Zusammen mit jenen Kindern mit Beeinträchtigungen, die integriert werden, führt das sicher zu heterogeneren Klassen. Es gibt auch mehr Kinder mit Sprachschwierigkeiten aus einheimischen Familien, in denen nicht mehr gelesen, nicht mehr miteinander gesprochen wird. Zugenommen hat auch die Zahl verhaltensauffälliger Kinder. Diese Defizite wurden früher von der Gesellschaft aufgefangen und müssen heute von den Schulen angegangen werden. Das ist sehr bedenklich, aber tägliche Realität.
Der Passarellen-Lehrgang für Schwyzer Hochschulanwärter wurde im Kantonsrat gestrichen – wird der Kanton eine neue Version vorbringen?
Zu dieser Sistierung bearbeiten wir gerade einen politischen Vorstoss, der die Frage behandelt, wie es mit diesem geplanten Projekt weitergeht. Die Regierung wird fristgerecht antworten.
Die «Jugend von heute» ist immer ein Thema – was sind in Ihren Augen die wichtigsten Veränderungen bei den Jungen seit Ihrer Schulzeit?
In meinen Augen ist der schnelle Wandel in allen Lebensbereichen, dem die Jungen heute ausgesetzt sind, die wichtigste Veränderung seit meiner Jugend. Die jungen Menschen von heute müssen sich ständig den neuen Umständen anpassen – manche schaffen das, andere sind überfordert, weil sie keine Perspektive sehen. Damit sind sie einem gewaltigen Stress ausgesetzt. Bei der Berufswahl bietet die hohe Durchlässigkeit im Bildungssystem heute zwar viele gute Möglichkeiten. Andererseits kann man heute selbst mit einer guten Ausbildung nicht mehr davon ausgehen, dass die ganze Berufslaufbahn im gleichen Fachbereich verläuft.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Kantonen hat Schwyz kein Kulturgesetz – gibts da Nachholbedarf?
Das Kulturgesetz ist zwar immer wieder im Gespräch. Wir sind jedoch der Auffassung, dass es eine Illusion ist, man könnte damit alle Probleme lösen. Die Befürworter denken, dass man mit einem solchen Gesetz die Kultur viel weitreichender und insbesondere auch Kulturräume unterstützen könnte. Diese Erwartung kann jedoch kaum erfüllt werden. Wir können schon heute Kulturschaffende aller Sparten bestmöglich unterstützen. Ein Gesetz würde kaum etwas verbessern, es sei denn, man würde noch grössere Mittel einfordern und mehr Infrastruktur unterstützen. Das würde jedoch ein Bedarf an Finanzmitteln bedingen, für den ich keine politische Mehrheit sehe. Wenn man ein Kulturgesetz hätte, würden die Diskussionen im Parlament über die Bühne gehen, wo jedes Mitglied des hundertköpfigen Kantonsrats eine andere Vorstellung davon hat, was unterstützungswert ist – von der Fasnacht bis hin zu modernem Tanz. Jetzt hat man Lotteriefondsgelder, eine fachlich zusammengesetzte Kulturkommission, die na-he am Geschehen ist, und ein standardisiertes Gesuchswesen, das transparent ist und eine gezielte Kulturförderung ermöglicht. Vieles steht und fällt mit der Kommunikation und mit der Vermittlung über unsere Tätigkeit. So können wir auch den Eindruck entkräften, es würde willkürlich entschieden.
Landammann Michael Stähli, Vorsteher des Bildungsdepartements, nimmt im Interview Stellung zu aktuellen Fragen seines Ressorts – vom Lehrpersonenmangel über die schulische Integration bis hin zum Kulturgesetz.