Odermatt und die Konkurrenz im eigenen Lager
Eine verschworene Einheit räumt in der zu Ende gehenden Weltcup-Saison im Speed-Bereich in grossem Stil ab. Marco Odermatt führt eine Equipe an, die sich rekordverdächtig schnell entwickelt hat.
Es schien angerichtet. Im Vorfeld dieses Weltcup-Winters hatte die erwartete Fortsetzung des Duells zwischen Marco Odermatt und Cyprien Sarrazin in den Abfahrten und in den Super-G die grösste Aufmerksamkeit generiert. Für den in der vergangenen Saison kometenhaft an die Spitze vorgedrungenen Franzosen war wiederum die Rolle des ersten Gegenspielers von Odermatt vorgesehen.
Doch das Schicksal wollte es anders. Sarrazin war kurz vor dem Jahreswechsel von einer Sekunde auf die andere kein Faktor mehr. Der Sturz im zweiten Training für die Abfahrt in Bormio und eine Kopfverletzung als Folge bedeuteten auf ganz schlimme Art das vorzeitige Ende der Rivalität zwischen zwei zu Freunden gewordenen Fahrern.
Odermatts neuerlicher Durchmarsch im Kampf um Siege und Kristallkugeln war vorgespurt, umso mehr nach Aleksander Kildes im Oktober verkündetem Verzicht auf rennmässige Einsätze in diesem Winter. Zusätzliche Operationen an der linken Schulter, an der sich der Norweger bei seinem heftigen Abflug ins Sicherheitsnetz im Zielhang der Lauberhorn-Abfahrt unter anderem verletzt hatte, verlängerten die Rekonvaleszenz.
Der Dominator ohne seine grössten Konkurrenten? Da war von Selbstläufer die Rede, Österreichs Medien prophezeiten Odermatt vorab im Speed-Bereich eine «gmahde Wiesn». Den eigenen Fahrern muteten die Schreiberlinge offensichtlich nicht allzu viel zu, schon gar nicht die Fähigkeit, dem Nidwaldner permanent die Stirn bieten zu können.
Die rasante Entwicklung
Es sollte alles anders kommen. In den eigenen Reihen tat sich was. Odermatt sah sich bald einmal umringt von Teamkollegen, die begannen, ihm den Platz an der Sonne streitig, ihm das Siegen schwer(er) zu machen. Deren sportliche Entwicklung schritt in nie geglaubter Geschwindigkeit voran. Es gab klare Signale der Veränderung, an deren Ursprung Odermatt selber stand. Er, der sich in der Einzelsportart Ski alpin in der Gruppe am wohlsten fühlt, ist Ratgeber, Unterstützer und vor allem der willkommene Gradmesser. Odermatt ist mit seinem Willen, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen, zur Inspiration für junge und ältere Fahrer geworden.
Das Gemeinsame funktioniert, die Gruppe um Odermatt ist zu einer verschworenen Einheit geworden, zu einer äusserst erfolgreichen, die in dieser Saison für Siege und Podestplätze am Laufmeter gesorgt hat, die aufgetrumpft hat wie noch selten ein alpines Team von Swiss-Ski. Um Ähnliches mit dieser Breite in der Mannschaft zu finden, muss in den Statistiken in die Achtziger- und Neunzigerjahre zurückgeblättert werden, in die Zeiten mit Pirmin Zurbriggen, Peter Müller, Franz Heinzer und Daniel Mahrer.
Die Zahlen zur grossartigen Saison beeindrucken. Die Schweizer haben sechs der acht Abfahrten gewonnen, 17 der 24 Podestplätze haben die Fahrer aus unserem Land erobert. Im Super-G haben sie in vier der acht Rennen gesiegt, dazu sechs weitere Podestplätze belegt. In die Siegerlisten haben sich gleich vier Athleten eintragen können. Neben Odermatt sind dies Justin Murisier, Alexis Monney und Franjo von Allmen.
Ob Murisier im Herbst seiner Karriere oder die Emporkömmlinge Monney und Von Allmen – sie alle haben in diesem Winter ihre ersten Siege im Weltcup errungen. Der unbekümmerte Von Allmen bringt den Lernprozess mit Höchstgeschwindigkeit hinter sich, auch deutlich schneller als seinerzeit Odermatt. Der Innerschweizer ist den Weg zur Tempobolzerei nach dem Einstieg über den Riesenslalom Schritt für Schritt gegangen. Von Allmen hat sich früh entschieden, den Fokus auf Abfahrt und Super-G zu richten.
Längst weiss Von Allmen, dass er richtig entschieden hat. Schon nach seiner zweiten kompletten Saison auf dieser Ebene hat er drei Siege und zwei Weltmeister-Titel in seiner Bilanz stehen. Der 23 Jahre alte Berner Oberländer, lange stets ums Dämpfen allzu hoher Erwartungen bemüht, ist in den vergangenen Monaten zu einem Fahrer gereift, der imstande ist, sich auf allen Pisten auf Augenhöhe mit Odermatt zu bewegen.
Der kollektive Vorstoss
Besser geworden ist neben dem genannten Trio unter anderen auch Stefan Rogentin. Der 30-jährige Bündner hat seine bisher beste Saison als Nummer 2 im Super-G und Nummer 8 in der Abfahrt abgeschlossen. In der Abfahrt ist Rogentin aus Schweizer Sicht gleichwohl «nur» die Nummer 5. Odermatt führt die Disziplinen-Rangliste vor Von Allmen und Monney an, Murisier ist unmittelbar vor Rogentin klassiert.
Die Steigerung zeigt selbstredend auch in den Weltcup-Startlisten Wirkung. Von Allmen hat sich im Vergleich zur Platzierung am Ende der letzten Saison in der Abfahrt von Rang 17 auf Position 2 verbessert, im Super-G ist er von Rang 14 auf Platz 4 vorgestossen. Rogentin hat in der Abfahrt sieben Plätze gutgemacht und liegt nun auf Platz 9, im Super-G hat er seinen steten Vormarsch fortgesetzt und nimmt nun Rang 3 ein. Die grössten Sprünge nach vorne hat Monney getan. In der Abfahrt ist der Freiburger von Platz 20 auf Position 3, im Super-G von Rang 42 auf Platz 10 geklettert.
Die jüngeren Fahrer sind in ihrer Entwicklung natürlich noch nicht im Zenit angelangt. Aber auch die älteren Semester sehen bei sich noch Verbesserungspotenzial, Odermatt trotz aller Erfolge ebenso. Die Mischung machts wohl auch in nächster Zukunft. Es sind erfreuliche Aussichten. Die Zeichen für die Aufrechterhaltung des Hochs stehen gut. Es scheint angerichtet.