Zwischen Schickimicki und Freestyle-Spirit
St. Moritz ist in diesen Tagen ein Ort der Gegensätze. Die Freestyle-WM ist mit grossen Erwartungen verknüpft – und soll weit über die WM-Wochen nachhallen. Ein Augenschein.
Roman Michel
Unten, im Dorf, parkiert ein nobler Bent-ley auf dem Parkplatz des Badrutts’s Palace. Oben, am Berg, rattert ein Schneemobil die Piste hoch. Unten flanieren Touristen an den Schaufenstern von Edelmarken wie Prada und Dolce & Gabbana vorbei. Oben stapfen die Fans durch den nassen Frühlingsschnee. Auf einer Terrasse, direkt am gefrorenen See, sitzt ein älteres Ehepaar bei Tatar und Wein. Oben gibts Hotdog und Bier. Es ist Freestyle-WM. Und St. Moritz ein Ort der Gegensätze. Irgendwo zwischen Schickimicki und Free-style Kultur. Zwischen diesem mondänen Touch, der den Kurort seit Jahrzehnten begleitet. Und diesem locker-lässigen Spirit, den die WM in das Dorf bringt.
Erste WM in Europa
Marijana Jakic ist Geschäftsführerin von St.Moritz Tourismus. Sie sagt: «Diese WM kann uns helfen, eine neue Generation anzusprechen. » Wer an St.Moritz denkt, denkt an die Schönen und Reichen. An Cüpli und Pelzmäntel. An teure Autos. Jakic sagt, das Dorf habe sehr viele andere Facet-ten. «Auch Freestyle und Sport sind Teil dieser DNA.» Tatsächlich ist die Freestyle-Kultur tief in St. Moritz verankert. In den 90er-Jahren galt die Destination weltweit als Hotspot für die wachsende Snowboard-Community. 1987 fand die erste Snowboard-WM auf europäischem Boden in St. Moritz statt. «Der Sport ist tief in der Geschichte von St. Moritz verankert», sagt Jakic. «Freestyle steht auch für den ursprünglichen, freigeistigen Spirit von St. Moritz.» Im Dorf gibt es in diesen Tagen eine Ausstellung über den Freestyle-Sport und dessen Tradition. In den Strassen hängen Bilder von Fotografen, die sich der Freestyle-Kultur widmen.
Die WM ist im Dorf zwar sichtbar. Und doch ist es keine WM-Euphorie, die durch die Gassen schwebt. Es gibt kein Public Viewing. Keine Fanshops oder dergleichen. Stattdessen warten auf dem zentralen Platz im Dorf die Kutschenfahrer auf ihre Kundschaft. Eine Angestellte putzt gelangweilt die Schaufenster eines noblen Uhrengeschäfts. Das fehlende WM-Feuer mag auch damit zusammenhängen, dass die Wettkampfstätten alle ausserhalb des Dorfes sind. Am Berg. Oder bei der Olympiaschanze, wo die Big-Air-Wettkämpfe und die Konzerte stattfinden. Ein freiwilliger Helfer sagt, hätte man bei der Eröffnungsfeier alle Voluntari weggezählt, wäre das Gelände leer gewesen.
14 000 Logiernächte
Die Organisatoren haben für die WM tief ins Portemonnaie gegriffen. Allein der Bau der neuen Halfpipe auf dem Corvatsch kostete beinahe 5 Millionen Franken. Das Budget für die zweiwöchige Veranstaltung beträgt rund 18 Millionen Franken, man befürchtet ein relativ hohes Defizit. Auch darum ist die Meinung im Tal gespalten. Vor der Bäckerei regt sich ein Lieferant über einen österreichischen Teambus auf, der im Parkverbot steht. Die lokale «Engadiner Post» schreibt zwar von grünen Titelkämpfen. Dass für den Transport des Materials an den Berg x Helikopterflüge nötig waren und für die Anlagen Tausende von Kubikmeter Schnee produziert wurde, wird dabei aussen vor gelassen. Und sorgt im Tal teils für Kritik.
Und doch spürt man in den Gesprächen mit Einheimischen auch einen gewissen Stolz. Den Stolz, einen Anlass dieser Grösse durchführen zu dürfen. Fast 1000 Voluntari sollen sich für den Event beworben haben, bloss 600 wurden tatsächlich gebraucht. Das sind Luxusprobleme, die sich jeder andere Sportanlass wünscht. Und die die breite Unterstützung in der Bevölkerung zeigt.
Rund 14000 Logiernächte soll die WM generieren. Der Wert der Titelkämpfe geht aber über die zwei Eventwochen hinaus. «Der Anlass bringt eine grosse mediale Präsenz – und zwar über die ganze Welt», sagt Jakic. «Sie hilft uns dabei, neue Märkte zu erschliessen. » Gerade in Asien und Nordamerika sind die Freestyle-Sportarten sehr populär. Die SRG produziert an den Titelkämpfen das internationale Signal für 29 TV-Stationen.
Events auch im Sommer
Zwei Wochen steht St.Moritz im Schaufenster der Sportwelt. Das Erbe der WM soll aber länger anhalten. Bei St.Moritz Tourismus erhofft man sich längerfristig eine Verjüngung der Zielgruppen. Jakic sagt, die WM dürfe keine einmalige Sache sein. «Es ist wichtig, die Freestyle-Kultur nachhaltig zu fördern. » Dazu gehören Sportevents.
Aber eben auch andere Bereiche wie Kultur oder Kulinarik. «Wir müssen auch im Sommer entsprechende Angebote schaffen und ausbauen.» Dass Schickimicki und Free-style Kultur auch zusammen gehen, zeigt sich am Samstag, als sich der Verkehr auf der engen Strasse ins Zielgelände Salastrains staut. Der Grund: Pferdekutschen. Mit Gästen in Pelzmänteln.