Das perfekte Ende mit dem älteren Bruder
In Oslo verabschiedet sich am Sonntag Johannes Thingnes Bö, der erfolgreichste Biathlet der Geschichte, vor seinem Heimpublikum. Der Superstar zum Anfassen will sich nun seiner Familie widmen.
Am letzten Tag der Weltmeisterschaften in Lenzerheide befand sich Johannes Thingnes Bö bereits im Februar auf Abschiedstour. Der Norweger hatte im Massenstartrennen seine 43. WM-Medaille (!) gewonnen, eine bronzene, und schüttelte unzählige Hände und stand für Fotos zur Verfügung. Von Helfern, Offiziellen, sogar dem einen oder anderen Medienvertreter. Der 31-jährige Biathlon-Superstar ist kein abgehobener Egomane, sondern ein Seriensieger zum Anfassen.
Die Lenzerheide war aber nur das Vorspiel zum Holmenkollen. Am Sonntagnachmittag ging im Nordisch-Mekka von Oslo die Karriere der beiden Bö-Brüder zu Ende. Johannes’ fünf Jahre älterer Bruder Tarjei, selber ein dreimaliger Olympiasieger, zwölffacher Weltmeister und Gesamtweltcup-Sieger von 2011, lief ebenfalls sein letztes Rennen.
Die Tränen der Fans
Tränen, Lachen und rote Flaggen mit weiss-blauen Kreuzen: Tausende von Norwegern pilgerten zum Hausberg, um ihren Idolen ein letztes Mal zuzujubeln. Sie kamen nicht, um das beste Rennen von Johannes Bö zu sehen – er wurde beim letzten Massenstart seiner Karriere mit vier Schiessfehlern Siebter. Eher war es ein Festtag für beide Brüder. Nachdem das Rennen beendet war, zeigten sich Johannes und Tarjei in Pelzmänteln in den Farben der norwegischen Flagge und mit einer Krone auf dem Kopf.
Es war für Johannes eine aussergewöhnliche Inszenierung und kaum seine eigene Idee. «Das ist das perfekte Ende. Wir wussten schon immer, dass wir unsere Karriere hier am Holmenkollen beenden wollten», erklärte er gewohnt unaufgeregt, mit der Bescheidenheit, die er im Lauf seiner Karriere immer gezeigt hatte. Einige Zuschauer konnten während der 45-minütigen Zeremonie Tränen nicht zurückhalten.
Opern-Arien und dann Abba-Hits, die beiden Brüder stiegen ein letztes Mal für einen letzten Tanz auf ihre Ski und überquerten ein letztes Mal gemeinsam die Ziellinie. Am Rand der Loipe war zu lesen: «Danke Johannes und Tarjei, ihr habt den Biathlon zum ‘BöAthlon’ und das Podium zum ‘Bödium’ gemacht», oder «Ich LieBö Dich».
Der Dank an den Bruder
Um sich seiner Familie, insbesondere seinen beiden Kindern, zu widmen, hatte Johannes Thingnes Bö Mitte Januar unter Tränen angekündigt, dass er sich nach der Saison bei seinem Heimspiel am Holmenkollen aus dem Sport zurückziehen werde, obwohl er sich immer die Olympischen Spiele 2026 in Mailand-Cortina als Horizont gesetzt hatte.
Es ist kein Zufall, dass Johannes das Rampenlicht am Sonntag mit Tarjei teilte. Johannes, das vierte von fünf Geschwistern, hat seinem älteren Bruder viel zu verdanken, wie er selbst sagt. Als er 13 Jahre alt war, sah er, wie dieser bei der Juniorenweltmeisterschaft Gold gewann. «Er hat gezeigt, dass es möglich ist», sagte der jüngere Bö am Tag seiner Rücktrittsankündigung. In Norwegen werden die Brüder manchmal mit den Ingebrigtsen in der Leichtathletik verglichen: Der Ältere macht den Weg frei, und der Jüngere folgt ihm, lernt aus seinen Fehlern und übertrifft ihn schliesslich.
Das Lob des Vorgängers
Bei der WM im Februar übertrumpfte Johannes Bö mit seinen Goldmedaillen 21 bis 23, davon 12 in Einzelwettkämpfen, seinen Landsmann und bisherigen Rekordhalter Ole Einar Björndalen (20, davon 11 Einzel). «Ich freue mich für ihn, er ist eine Legende, und ich denke, es wird noch eine Weile dauern, bis wir andere Athleten wie ihn sehen werden», würdigte ihn sein Vorgänger.
An den Olympischen Spielen hätte Bö sein Palmarès wohl weiter geäufnet. Dass er das Wohl seiner Frau, seines fünfjährigen Buben und der eineinhalb-jährigen Tochter über seinen sportlichen Ehrgeiz stellt, passt zum norwegischen Rotschopf.