Mathilde Gremaud zweifelt und ist doch der grösste Schweizer Trumpf
Mathilde Gremaud ist das Mass der Dinge im Slopestyle. Doch an der Heim-WM im Engadin sieht sich die Freiburgerin schon glücklich, überhaupt für den Final qualifiziert zu sein. Was steckt dahinter?
Als Olympiasiegerin und Weltmeisterin ist Mathilde Gremaud an den Freestyle-Weltmeisterschaften in und um St. Moritz auf dem Papier der grösste Schweizer Trumpf. Seit die 25-Jährige vor drei Jahren an den Olympischen Spielen in Peking Gold im Slopestyle und Bronze im Big Air gewonnen hat, trat sie 17-mal im Weltcup an. Achtmal gewann sie, 13-mal stieg sie aufs Podest, nur viermal verpasste sie die Top 3.
Am Mittwoch hatte Gremaud ihren ersten Einsatz an der Heim-WM. Als Dritte qualifizierte sie sich vermeintlich souverän für den Final der besten zwölf vom Samstag. Doch in Gremauds Worten schwangen ungewohnte Zweifel mit. «Ich war vor dem ersten Run mega nervös, so nervös wie seit zehn Jahren nicht mehr», sagte sie.
Prompt stürzte Gremaud und war im zweiten Lauf entsprechend unter Druck. Mit etwas weniger schwierigen Tricks klappte es schliesslich. «Indem ich hier bin und vor dem Heim-Publikum einen Final bestreiten kann, habe ich ein grosses Ziel schon erreicht», meinte Gremaud. Sie habe am Dienstag einen sehr guten Trainingstag gehabt, «aber das hundertprozentige Vertrauen hatte ich noch nicht».
Wochenlanges Nichtstun
Der Grund für das angekratzte Selbstvertrauen ist simpel. Eine Verletzung hat Gremaud bis kurz vor der WM wochenlang zum Nichtstun gezwungen. Als sie sich nach dem 3. Platz am Laax Open eine Auszeit nahm und auf den Abstecher nach Nordamerika verzichtete, verletzte sie sich beim freien Fahren. Der letzte Wettkampf ist nun zwei Monate her.
Dass sich Gremaud in der Freizeit verletzte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Sie bestreite gerne Wettkämpfe, darauf zu verzichten falle ihr schwerer als anderen Top-Athletinnen wie etwa Eileen Gu, sagt sie über sich. Dinge wie das Freeriden, für die sie gerne mehr Zeit hätte, kämen daher zu kurz.
Wettkampf-Pausen aus freien Stücken wie nach dem Laax Open gönnt sich Gremaud erst, seit ihr Körper ihr vor drei Jahren eindeutige Signale gesendet hat. Damals fiel Gremaud an den Olympischen Spielen in Peking nach dem Gewinn von Bronze im Big Air in ein mentales Loch. Nach dem Saisonende war sie erschöpft, ging dann aber trotzdem noch (zu) vielen Sponsoren-Terminen und anderen Verpflichtungen nach – «weil ich früher schwer Nein sagen konnte», so Gremaud. Das rächte sich. Auf die harte Tour brachten Körper und Geist sie dazu, auf die innere Balance zu achten. «Jetzt habe ich den richtigen Approach gefunden», sagt sie nunmehr.
Auf der Suche nach dem Gefühl
Um was für eine Verletzung es sich in den letzten Wochen handelte, behält Gremaud für sich. Bekannt ist, dass sie erst vor wenigen Tagen ins normale Training zurückkehrte. Entsprechend dämpfte sie die Erwartungen für die Heim-WM. Sie habe Fragezeichen, sagte sie am Montag. «Ich werde am Start sein. Die Frage ist, auf welchem Level ich bin.» Sie müsse das Gefühl wieder finden, das Vertrauen fehle noch ein wenig, so die Schweizer Freestyle-Königin.
Durch das Missgeschick in der Freizeit wurde die WM für Gremaud zum Wettlauf gegen die Zeit. Mehrere Wochen habe sie nicht viel machen können, es sei nicht sicher gewesen, ob sie rechtzeitig wieder fit ist, schilderte Gremaud. Wenngleich eine Heim-WM «natürlich etwas Einmaliges» sei, wollte sie nichts forcieren. Schliesslich will sie kompetitiv sein, wenn sie antritt – und denkt sie auch an übermorgen: «Ich will noch eine lange Karriere haben. Deshalb gilt wie immer: Kein unnötiges Risiko.»
Vier Konkurrentinnen weniger
Wie sie am Mittwoch im zweiten Durchgang der Qualifikation zeigte, hat Gremaud den Wettlauf gegen die Zeit gewonnen. Zwar fehlte die letzte Überzeugung noch, aber angesichts ihres Trick-Repertoires gehört sie am Samstag zweifelsohne auch an dieser WM zu den Topfavoritinnen. Zumal es prominente Abwesende gibt und Sarah Höfflin, die zweite Schweizer Medaillenanwärterin, in der Qualifikation hängen blieb.
Mit Eileen Gu fehlt im Engadin nicht nur die grosse Figur der Szene. Auch die Französin Tess Ledeux, Slopestyle-Weltmeisterin von 2017 und zweifache Weltmeisterin im Big Air (2019, 2023) und Kelly Sildaru, die Olympiadritte von 2022, verpassen die Titelkämpfe verletzungsbedingt.