Zwischen Fortschritt und Verlust: Die Transformation der Linthebene
Unter der Federführung des Eidgenössischen Kriegsernährungsamtes wurden die Ziele des Anbauplans zur Erhöhung der Eigenproduktion definiert: Ausweitung des Ackerbaus, Reduzierung der Viehzucht und Rationierung der Lebensmittel. Der Anbau setzte 1942 ein. Die Schweizerische Vereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft (SVIL) führte in der Linthebene in zwölf Pflanzwerken den Pflichtanbau von 84 Firmen durch. Während der Saat- und Erntezeit waren 400 bis 500 Hilfskräfte im Einsatz.
Der «Plan Wahlen» war ein staatlich dirigiertes Programm zur Förderung des Lebensmittelanbaus, auch «Anbauschlacht» genannt. Friedrich T. Wahlen, später ein Bundesrat, gilt als «Vater der Anbauschlacht». Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz konnte von 1940 bis 1945 von 52 % auf 59 % gesteigert werden.
Aufgrund einer 1938 erfolgten Umfrage bei den Linthgemeinden gelangte Artikel 20 – Vorsorge zu treffen für Besiedelung – 1939 in das «Bundesgesetz über die Melioration der Linthebene». Doch Melioration (Bodenverbesserung) und Anbau liessen für eine Besiedlung keinen Raum. Da nach dem Zweiten Weltkrieg die Grundeigentümer kaum imstande waren, das meliorierte Land mit eigenen Kräften zu bewirtschaften, stellte sich umso dringender die Frage der Besiedlung.
Besser für Viehwirtschaft geeignet als für Ackerbau
Im Kielwasser der Kriegswirtschaft versuchten die Bauernvertreter, eine neue, staatlich abgesicherte Landwirtschaftspolitik durchzusetzen. Die Überzeugung brach sich Bahn: Die Linthebene eignet sich besser für Viehwirtschaft als für Ackerbau. Der Viehbestand im Linthgebiet wuchs in der Nachkriegszeit markant. Die Gras- und Milchwirtschaft breitete sich aus. Entsprechend ging der Ackerbau zurück. Wenn doch Kulturflächen, dann zum Beispiel Futtermais. Erst seit 1999 gibt es wieder Speisemais (Linthmais – Saatgut aus der Genbank in Delley, Kanton Freiburg). Zudem trat in der Nachkriegszeit das Phänomen Bodenverdichtung infolge Mechanisierung und Mineralisierung (Abbauprozess) zutage.
Starkstromleitungen, Eisenbahnlinien, Überbauungen, Strassen akzentuieren heute das Landschaftsbild. Die Erschliessung der Linthebene mit den Massnahmen Korrektion, Melioration, Anbau, Besiedelung findet ihre Fortsetzung mit der Autobahn A3, welche 1973 eröffnet wurde. Doch der Fortschritt fordert seinen Tribut: Die Autobahn führt mitten durch die Linthebene, teilt sie messerscharf, frisst hektarweise meliorierte Flächen, überfährt Kulturdenkmäler. Allein die Ortsgemeinde Benken opferte für den Bau der A3 22 Hektaren melioriertes Kulturland. Das «Entwicklungskonzept Linthebene 2003» wurde in den Jahren 2003 bis 2008 als Richtplangeschäft – breit abgestützt – erarbeitet und nach Regierungsbeschluss der Kantone St. Gallen, Glarus und Schwyz als behördenverbindlich erklärt.
«Keine neuen Siedlungsräume»
Die drei Kernaussagen des Konzepts: Modellregion (eigenständiges Profil) / Region nimmt ökologische und landwirtschaftliche Verantwortung wahr / auf Besiedelung in die Ebene hinaus wird generell verzichtet.
«Grünes Licht für grüne Linthebene»: Unter diesem Titel veröffentlichte die Zeitung «Südostschweiz» am 20.Februar 2011 einen Bericht mit dem Einleitungstext: «Keine neuen Siedlungsräume, Natur- und Erholungsgebiete beibehalten. Das Entwicklungskonzept für die Linthebene, das im kantonalen Richtplan fixiert wurde, ist nun verbindlich.» Gestützt auf diese Richtplanung wurde das geplante gigantische Einkaufszentrum «Glaruspark » beim Bahnhof Weesen nicht realisiert.
Das «Projekt Hochwasserschutz Linth 2000» hatte Auswirkungen auf die Güter der Ortsgemeinde. Mit der Verlegung der rechtsseitigen Nebenkanäle zwischen Giessen und Grynau fiel rund 100 000 Kubikmeter Humus an. In einem Rekultivierungsprojekt wurde mit diesem Erdmaterial zwischen der 1. und 3. Gangstrasse eine Fläche von zwölf Hektaren aufgeschüttet. Mit einer Drainage erfolgte anschliessend im Jahr 2008 die Zweitmelioration dieses Kulturlandes.
* Dr. Stefan Paradowski ist polnisch-schweizerischer Doppelbürger, Kunsthistoriker, in Benken aufgewachsen und in Lachen wohnhaft. Er führt die Agentur für Kunst und Regionalgeschichte.
Die Landschaft des Linthgebiets veränderte sich über die Jahrhunderte stetig. Wie genau, erfahren Sie in unserer dreiteiligen Serie. In Teil 3 geht es um die sogenannte «Anbauschlacht», die Autobahn A3 und eine Überflutung, die man im Ernstfall absichtlich herbeigeführt hätte.
«Die Autobahn führt mitten durch die Linthebene, teilt sie messerscharf, frisst hektarweise meliorierte Flächen, überfährt Kulturdenkmäler.»