Stichelei unter besten Feinden
Die Stadtführerin zeigt auf die alte Brücke hinter ihr und erklärt: «Trondheim ist auf drei Seiten hervorragend geschützt, auf zwei Seiten durch den Fluss, auf einer durch den Fjord. Und im Osten, da ist…» Auf den ausgestreckten Arm folgt eine Pause. Dann: «Schweden.» Die Geschichtenerzählerin meint natürlich nicht die Langläufer aus dem Nachbarland, sondern nahm Bezug auf verschiedene Kriege zwischen Schweden und Norwegen und die Zeit im 19. Jahrhundert, als der schwedische König auch über Norwegen herrschte. Die beiden Länder im Norden verbindet eine sehr spezielle Beziehung. Man ist sich ähnlich, die meisten Auswärtigen gruppieren die skandinavischen Nationen sowieso zusammen. Man spricht auch fast die gleiche Sprache und teilt eine grosse Leidenschaft: den Langlauf. Und deshalb herrscht auch eine grosse Rivalität, erst recht, wenn eine WM wie jetzt in einem der beiden Länder stattfindet. Da liegen die Nerven dann schon mal blank.
Klaebos Antwort
Ein Müsterchen dieser mal mehr, mal weniger boshaften Sticheleien durften die Zuschauer Ende Januar im Engadin beobachten. Beim Weltcup in Silvaplana gewann der norwegische Star Johannes Klaebo den Sprint gewohnt überlegen, bremste kurz vor der Ziellinie ab und blickte demonstrativ zurück. Die Erklärung: Eine Woche zuvor hatte der aufstrebende Schwede Edvin Anger den Sprint in Les Rousses vor drei Norwegern für sich entschieden – in Abwesenheit von Klaebo. Danach beklagte sich Anger, dass dieser ihm nicht gratuliert habe. «Ich wollte schauen, ob da jemand ist, dem ich gratulieren soll, aber da war ja keiner.» Anger wurde im Engadin mit Abstand Zweiter.
Schwedens Frauen im Hoch
Auch der frühere norwegische Seriensieger Petter Northug, sowieso der grössere Provokateur als der eigentlich umgänglichere Klaebo, hatte sich gerne an den Schweden gerieben, nicht zuletzt mit vier WM-Goldmedaillen bei deren Heim-WM 2015 in Falun. Während einigen Jahren war die Rivalität sehr einseitig. Norwegen dominiert die Winter-Sportarten schon seit Langem, Schweden machte eine eher schwierige Phase durch. Dank der Langläuferinnen hat sich das Blatt aber etwas gewendet. Insgesamt – vor allem auch in der Kombination und im Skispringen, die in Schweden keine Rolle spielen – haben die Norweger klar die Nase vorn. Im Langlauf aber sind die Siege bis jetzt ausgeglichen verteilt. Zweimal Gold für Klaebo bei den Männern, Gold für die Schwedinnen Jonna Sundling und Ebba Andersson bei den Frauen.
Schön ist: Während die Boulevardmedien auf beiden Seiten der Grenze zuweilen den Anstand und die Fassung verlieren, bleibt der Wettstreit unter den Zuschauern immer fried-lich. Selbst, als Andersson im sonntäglichen Skiathlon die Nationalheldin und 14-fache Weltmeisterin Therese Johaug um den Hauch von ein paar Millimetern übertrumpfte, gab es respektvollen Applaus für die Schwedin.
Bei einer WM in Norwegen feiern die Fans nicht nur ihr Land mit den omnipräsenten kleinen Fähnchen in Blau, Rot und Weiss, sie feiern in erster Linie ihren Nationalsport. Deswegen pilgern sie selbst bei misslichstem Wetter zu Zehntausenden – inklusive der Königsfamilie – auf den Trondheimer Hausberg Granasen.
Bei Wind und Wetter draussen
So richtig begonnen hat die norwegische Dominanz mit den Olympischen Winterspielen 1994 in Lillehammer, den letzten in ländlichen Gefilden, bevor der Gigantismus Überhand nahm. Seither fliesst im vor allem dank Erdöl reichen Land viel Geld in den Spitzensport, so ist man auch bei Technik und Material fast immer top aufgestellt. Leute wie Klaebo (11 WM-Titel, 4 Olympiasiege), Johaug (14/4) der Biathlon- König Johannes Thingnes Bö (23/5) oder der Kombinierer Jarl Magnus Riiber (10 x Weltmeister) sind im Land der Fjorde Superstars und wurden dank des Sports zu Millionären.
Es ist nicht zuletzt die Sportbegeisterung der breiten Bevölkerung, die die Basis für diese Erfolge legt. «Friluftsliv », nennen die Norweger ihre Einstellung. Das Leben im Freien, bei Wind und Wetter geht man raus und treibt Sport. Doch es gibt Hoffnung für die Konkurrenz aus Schweden. Bö, Johaug und Riiber beenden diesen Frühling ihre Karrieren, und die nächste WM findet in zwei Jahren in Falun statt. Man darf sich auf weitere Sticheleien freuen.
Norwegen gegen Schweden: Das ist im Langlauf die Rivalität, die Österreich und die Schweiz im Ski alpin bewegt. Als Nachbarn mag man sich eigentlich – und gönnt sich im Sport dennoch nichts.