Mit «A Sisters’ Tale» erheben iranische Frauen ihre Stimme
Nasreen möchte singen. In der Schweiz wäre das ein völlig normaler Wunsch. Doch im Dokumentarfilm «A Sisters' Tale» der iranischen Filmemacherin Leila Amini ist dieser Wunsch der Ausgangspunkt für eine Befreiungsgeschichte.
Nasreen hat gesungen. Nach der Weltpremiere von «A Sisters’ Tale» am Locarno Film Festival im letzten Sommer ist sie, wenn auch nur kurz, vor 900 Personen erstmals öffentlich aufgetreten.
Der Film über sie beginnt damit, dass sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes Hana in eine Depression fällt. Sie ist in einer arrangierten Ehe mit Mohamed verheiratet. Er ist in den gemeinsamen vier Wänden still, fast geisterhaft präsent, bevor er ganz verschwindet. Irgendwann wird sich Nasreen scheiden lassen, die beiden Kinder Hamid und Hana werden bei ihr bleiben.
Sieben Jahre mit der Handkamera
Nasreen ist die Schwester von Filmemacherin Leila Amini. Sie begleitet sie mit der Handkamera während sieben Jahren. Zu Beginn steckt Nasreen fest in iranischen Verboten, verschwindet hinter ihrem Kopftuch und schleppt zu viele Pfunde mit sich herum. Doch dann beginnt sie für ihren Traum zu kämpfen. Sie singt ohne Schleier.
Leila Amini, die Regie geführt, das Drehbuch geschrieben und den Film koproduziert hat, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA in Locarno, dass der Film im Iran trotzdem vertretbar sei, «da alle Bilder ohne Schleier bei Nasreen zu Hause von ihrer Schwester gefilmt wurden». Bisher sei der Film im Iran nicht auf Schwierigkeiten gestossen.
Der Dokumentarfilm ist ein diskretes Spiegelbild der iranischen Frauen von 2022, nach dem Tod der 22-jährigen kurdischen Studentin Jina Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie nach deren Vorstellungen unangemessen gekleidet war. In Polizeigewahrsam war Amini gestorben. Das war der Auslöser für Proteste überall im Iran.
Enges Verhältnis zu Frauen in Afghanistan
Vor diesem Hintergrund richtet sich der Film sowohl an das westliche Publikum als auch an die Frauen in Afghanistan, deren Rechte seit der Rückkehr der Taliban an die Macht weit stärker beschnitten werden als im Iran. Laut Filmemacherin Amini handle ihre Dokumentation davon, «dass Frauen für ihre Rechte kämpfen müssen, ihre Stimme erheben und ihren Weg finden sollen».
Die Bande zwischen iranischen und afghanischen Frauen seien eng, so Amini. «Die iranische Bewegung ‘Frauen und Freiheit’ hat in Afghanistan viel Beachtung gefunden, weil wir die gleiche Sprache sprechen und uns viel über soziale Netzwerke austauschen.»
Darüber hinaus gibt «A Sisters’ Tale» einen Einblick in die iranische Musikszene im Untergrund und deren Netzwerke. Verbreitung findet die Musikszene in sozialen Medien, über Piratenradios oder an Konzerten im Verborgenen, etwa in Tiefgaragen. Ihren Film will Amini auch als Film über die Stimme verstanden wissen – die Stimme der Sängerin, aber mehr noch die Stimmen der Frauen als Menschen. «Und diese sollen gehört werden», sagte die Regisseurin am Locarno Film Festival.
Nasreen arbeitet an erstem Album
Sie war mit ihrer ganzen Familie, somit den Protagonistinnen und Protagonisten aus ihrem Film, nach Locarno gereist. Seit dem öffentlichen Auftritt ihrer Schwester seien einige Familienmitglieder nicht mehr in den Iran zurückgekehrt, sagte die Regisseurin Mitte Dezember, kurz vor dem Filmstart in den Schweizer Kinos gegenüber Keystone-SDA. Nasreen schreibt weiterhin Gedichte und sie singt. Derzeit bereitet sie ihr erstes Album vor. Und Amini selber arbeitet an ihrem zweiten Film, den sie erneut im Iran drehen will. «A Sisters’ Tale» startet in den Deutschschweizer Kinos am 19. Dezember.