Wie Pia Sundhage die Schweizer Fussballerinnen weitergebracht hat
Das Schweizer Frauen-Nationalteam verliert zum Jahresabschluss zweimal. Doch statt Unruhe herrscht im SFV-Umfeld vor allem Zuversicht und EM-Vorfreude. Was vorab mit Trainerin Pia Sundhage zu tun hat.
Es sind Szenen, die aufhorchen lassen. Das Schweizer Nationalteam der Frauen spielt Ende Oktober 2023 gegen Spanien. Es läuft die 37. Minute, als Trainerin Inka Grings einen Unterbruch nutzt, um die Spielerinnen beim Stand von 0:2 für taktische Anweisungen zu sich zu rufen. Am Spielfeldrand des Stadions Letzigrund redet die Deutsche energisch auf das versammelte Team ein, gestikuliert. Captain Lia Wälti und Verteidigerin Viola Calligaris drehen sich irgendwann ab und verdrehen die Augen, Ana-Maria Crnogorcevic diskutiert mit ihrer Vorgesetzten, wendet ihren Blick aber dann hilfesuchend zu ihren Mitspielerinnen ab.
1:7 verliert die Schweiz gegen die Weltmeisterinnen. Was an diesem Abend aber viel mehr Sorge bereitet, ist, dass innerhalb des Teams doch einiges im Argen zu liegen scheint. Die Chemie zwischen den Spielerinnen und Coach Grings, die erst Anfang Jahr übernommen und von 14 Partien nur eine gewonnen hat, stimmt gar nicht. Schon an der WM in Neuseeland zeigten die Spielerinnen auf dem Weg zu einer erzitterten Achtelfinalqualifikation und einer 1:5-Klatsche gegen Spanien immer wieder Unverständnis für Entscheide der Trainerin, deren Amtszeit am 17. November 2023 vorzeitig beendet wird.
Die beunruhigende Ruhe ist weg
Wer sich heute im Umfeld dieses Nationalteams bewegt, kann sich schwer vorstellen, dass erst 13 Monate vergangen sind seither. Denn wo Missgunst und Machtkämpfe waren, herrscht nun Freude und Zuversicht. Während des letzten Zusammenzugs des Jahres sitzt einmal Meriame Terchoun im Teamhotel und wird gefragt, was sich im Team verändert habe, dass es plötzlich wie Ende Oktober gegen eine Topnation wie Frankreich gewinne (2:1). Die 29-Jährige, die bei Dijon in Frankreich aktiv ist, kommt auf Trainerin Pia Sundhage zu sprechen, die seit Januar im SFV tätig ist. «Pia hat hereingebracht, dass alle Spielerinnen mega wichtig sind, egal, ob sie auf dem Feld stehen oder nicht.»
Terchoun erzählt, wie beunruhigt die Schwedin gewesen sei, als sie bei ihren ersten Trainingseinheiten festgestellt habe, wie ruhig es auf dem Feld sei. Sie habe also den Spielerinnen vermittelt, dass sie unbedingt und viel miteinander kommunizieren und sich einbringen sollen. «Sie hat eine super Sozialkompetenz, und es ist beeindruckend, wie sie ihr Wissen nutzt, um das Spiel an unsere Stärken und Schwächen zu adaptieren.»
Die jungen Hoffnungsträgerinnen wirbeln
Seit zwölf Partien ist Sundhage mittlerweile in der Verantwortung. Nach den beiden Niederlagen zum Jahresabschluss gegen Deutschland (0:6) und Europameister England (0:1) steht die Bilanz bei sieben Siegen, einem Unentschieden und vier Niederlagen. Dass die Mehrheit der Erfolge in der sportlich unbedeutenden EM-Qualifikation gegen zweitklassige Gegner zu Stande kam und den Schweizerinnen gegen die Topteams aus Deutschland und England dann die Grenzen aufgezeigt wurden, könnte als grosser Tolggen in Sundhages Reinheft gelesen werden.
Doch vorab diese letzten beiden Tests müssen in Kontext gesetzt werden. Mit Captain Lia Wälti, Abwehrchefin Luana Bühler, Géraldine Reuteler, der jungen Offensivhoffnung Naomi Luyet und Ramona Bachmann fehlten im letzten Zusammenzug 2024 fünf Spielerinnen, die sich als Teamstützen etabliert hatten. Auch wenn Sundhage das Credo lebt, dass allen 23 Spielerinnen im Kader eine wichtige Rolle zukommt, ist ein Leistungsabfall bei einer derartigen Häufung an Ausfällen nicht zu verhindern.
Die 64-Jährige hat das Spiel der Schweizerinnen taktisch auf ein neues Level angehoben. Sie sieht jede Partie als Chance, zu wachsen. Jede Minute im Dress des Nationalteams kann für die Entwicklung einer Spielerin langfristig wertvoller sein als der kurzfristige Erfolg des Teams in einem sportlich unbedeutenden Testspiel. Gegen die Engländerinnen kamen beispielsweise Noemi Ivelj (18) und Riola Xhemaili (21) zum Einsatz. Mit Iman Beney (18) und Sydney Schertenleib (17) gehörten zwei junge Hoffnungsträgerinnen dieses Teams in beiden Partien dieses Zusammenzugs zur Startformation. «Jede Spielerin kann einer anderen etwas mitgeben», sagt Elvira Herzog. «Egal, ob sie schon über 100 Länderspiele hat oder noch gar keines.»
Die Aussage der Torhüterin, die im November zur Nummer 1 erkoren wurde, ist ein weiterer Beleg für das Selbstverständnis und die positive Grundstimmung, die in der SFV-Auswahl im Lauf dieses Jahres Einzug gehalten haben. «Es ist ein super Gefühl in diesem Team, ein sehr gutes Miteinander.» Ein Miteinander, das auch aus dem Satz von Terchoun herauszulesen ist, wenn sie sagt, dass sich die Spielerinnen nun auch ausserhalb von Zusammenzügen austauschen und sich sehr über jedes Wiedersehen freuen würden. «Das hat sich schon enorm verbessert», sagt sie.
Wieder gegen Frankreich – und dann?
Das starke Teamgefüge, die taktische Versiertheit und der Weitblick der Trainerin sind Gründe dafür, weshalb die Schweizerinnen 2025 optimistisch in Angriff nehmen. Im Juli steht mit der Heim-Europameisterschaft das Turnier an, das für alle Spielerinnen ein Karrierehighlight werden und die Entwicklung des Frauenfussballs in der Schweiz nachhaltig vorantreiben soll.
Vor dem Eröffnungsspiel am 2. Juli in Basel stehen zwischen Februar und Juni sechs Partien in der Nations League an. Mit Island, Norwegen und Frankreich bekommen es die Schweizerinnen wiederum mit Topteams zu tun. Kein Problem, findet Nadine Riesen. Denn: «Wir wollen uns mit den Besten messen», sagt die Frankfurt-Legionärin und denkt dabei auch schon an die Auslosung für die EM.
Am 16. Dezember werden in Lausanne die vier Vierergruppen ausgelost. Als Gastgeberin kann die Schweiz einem Aufeinandertreffen mit Spanien, Deutschland und Frankreich in der Gruppenphase aus dem Weg gehen. Mit England, den Niederlanden, Italien oder Schweden können aber trotzdem früh im Turnier grosse Brocken auf die Schweiz zukommen.
Vor einem Jahr hätte dies im SFV-Umfeld wohl Sorgen bereitet. Doch dieses Nationalteam glaubt wieder an die eigenen Fähigkeiten und hat in den letzten zwölf Monaten viel gelernt. Das Wichtigste: Dass es als Team viel erreichen kann.