Darmoberfläche verdoppelt sich in Schwangerschaft und Stillzeit
Der Darm verändert sich in Schwangerschaft und Stillzeit massiv. Dabei kommt es zu einer annähernden Verdoppelung der Darmoberfläche und einer auffälligen strukturellen Umgestaltung, wie Forschende der Medizinischen Universität Wien festgestellt haben.
Die Forschenden um Josef Penninger lieferten auch den ersten genetischen und mechanistischen Beweis dafür, wie diese Darmveränderungen zustande kommen. Die Studie wird im renommierten Fachblatt «Nature» veröffentlicht.
Die Untersuchungen wurden an gentechnisch veränderten Mäusen und Darmorganoiden von Mäusen und Menschen – selbstorganisierte dreidimensionale Gewebe, die aus Stammzellen des Darms gewonnen werden – durchgeführt. Auf mechanistischer Ebene identifizierten die Forschenden das RANK-Rezeptor/RANK-Ligand-System (RANK/RANKL) als Schlüssel zur Vergrösserung der Dünndarmzotten, die durch Sexual- und Laktationshormone gesteuert wird. Bei Mäusen, denen das RANK/RANKL-System im Darm fehlt, war die Vergrösserung der Darmzotten während der Schwangerschaft und Stillzeit erheblich beeinträchtigt.
Für Ernährung des Babys wichtig
Das RANK/RANKL-System als wichtiger Motor essenzieller Prozesse, die im Lauf der Evolution erhalten wurden, wird seit Jahrzehnten wissenschaftlich untersucht. Die Penninger-Gruppe hat bereits Schlüsselfunktionen dieses Systems beim Knochenstoffwechsel, in der Biologie der Brustdrüse, bei Brustkrebs und bei der Immuntoleranz in der Schwangerschaft identifiziert. Dies trug zur Entwicklung von Medikamenten gegen Knochenschwund bei, die von Millionen von Menschen eingesetzt werden, sowie zu klinischen Versuchen zu Brustkrebsprävention und Krebsimmuntherapien, informierte die Medizinische Universität Wien (MedUni).
In ihrer aktuellen Untersuchung entdeckten die Forschenden nun, dass die RANK-RANKL-bedingten Veränderungen des Darms, die nach Beendigung des Stillens offenbar vollständig umkehrbar sind, für die Ernährung des Babys wichtig sind. «Unsere Studie zeigt, dass die Beeinträchtigung dieser Darmerweiterung durch das Fehlen des RANK/RANKL-Systems während der Schwangerschaft die Milch der stillenden Mütter verändert. Dies führt zu einem geringeren Gewicht der Babys und zu langfristigen, generationenübergreifenden Stoffwechselfolgen», erläuterte Erstautor Masahiro Onji.
Grundlegende Bedeutung für Evolution
«Mütter müssen für sich und ihre Babys essen. Unsere neuen Erkenntnisse liefern erstmals eine molekulare und strukturelle Erklärung dafür, wie und warum sich der Darm verändert, um sich an den erhöhten Nährstoffbedarf von Müttern anzupassen – was wahrscheinlich bei allen schwangeren und stillenden Säugetieren der Fall ist», berichtete Penninger. Wie sich Mütter an die Anforderungen der Schwangerschaft und des Stillens anpassen, bleibt eine zentrale Frage der Evolution und der menschlichen Gesundheit.
Dass schwangere Frauen einen erhöhten Nährstoffbedarf haben, war zwar bekannt, ausreichend wissenschaftlich untersucht wurde dieser grundlegende Aspekt laut MedUni bisher jedoch nicht. «Indem wir das RANK/RANKL-System als Motor der Anpassung des Darms während der Schwangerschaft und Stillzeit identifiziert haben, trägt unsere Studie zu einem tieferen Verständnis biologischer Prozesse bei, die für die Evolution von grundlegender Bedeutung sind», sagte Penninger.
Verständnis von Darmkrebs verbessern
«Unser Team hat einen erstaunlichen neuen Weg entdeckt, wie sich der Körper von Müttern verändert, um ihre Babys gesund zu erhalten. Kaum jemand wusste davon, einige alte Studien dazu sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Vielleicht können wir von schwangeren und stillenden Müttern sogar lernen, wie man das RANK/RANKL-System nutzen kann, um ein besseres Verständnis von Darmkrebs und neue Therapien für die Darmregeneration zu entwickeln», erläuterte der MedUni-Forscher.
Die Studie wurde in enger Zusammenarbeit zwischen der Medizinischen Universität Wien, dem Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) in Wien, der Universität von British Columbia in Vancouver, dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, dem Hubrecht-Institut in Utrecht und der Universität Kiel ermöglicht. Auch Forschende der Universität Tokio und der Universität Cambridge waren beteiligt.
www.nature.com/articles/s41586-024-08284-1