Schritt für Schritt zurück zur alten Stärke
Ajla Del Ponte will wieder zurück ins Nationalteam der Schweizer Sprintstaffel. Die 28-jährige Tessinerin, Olympia-Fünfte 2021 über 100 m, richtet trotz schwieriger Jahre den Blick nach vorne.
Ajla Del Ponte gibt in einem längeren Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA Einblick in ihre Gefühlslage der vergangenen Monate, nachdem sie sich im Mai zum wiederholten Mal verletzt und deswegen auch die Europameisterschaften in Rom und die Olympischen Spiele in Paris verpasst hatte.
«Körperlich fühle ich mich gut, mental auch», sagt die Tessinerin. «Einige Dinge müssen noch zurückkommen, aber ich bin nicht weit weg von den anderen, manchmal bin ich sogar vorne, wenn ich mit den anderen Frauen trainiere.»
Ihr rechter Oberschenkel ist also beschwerdefrei? «Es gab eine gewisse Angst vor dem Start im Herbst. Ich habe sogar ein Trauma vom 18. Oktober: Ich habe mich an diesem Tag zweimal verletzt», erzählt sie. «Ich will nicht sagen, dass ich am 18. Oktober nicht trainiert habe, aber…», schmunzelt sie.
«Ich spüre manchmal noch einen leichten Schmerz, wenn ich Gas gebe. Aber das ist hauptsächlich Angst, und daran arbeite ich. Auf den Ultraschallbildern sieht man die Narbe sehr gut, was positiv ist. Und der Kraft- und Widerstandstest, den ich jede Woche mache, zeigt, dass mein Muskel immer besser hält.»
Lust, alles aufzugeben
Die 28-Jährige glaubt daran, dass für sie noch vieles möglich ist. Dies nach wiederkehrenden Problemen im rechten Oberschenkel und einer Operation aufgrund eines dreifachen Schienbeinbruchs im November 2022. Sie macht jedoch keinen Hehl daraus, dass sie manchmal den Wunsch hatte, alles hinzuschmeissen.
«Ich habe oft darüber nachgedacht und mich gefragt, warum mir das alles passiert ist, was man falsch machen kann. Zweimal habe ich Laurent (Meuwly, ihr Schweizer Coach am niederländischen Stützpunkt in Apeldoorn – Red.) gesagt, dass ich aufhören werde.» Letztmals sei dies vergangenen Mai nach dem Meeting in Basel, wo sie sich erneut verletzt hatte, der Fall gewesen.
«Spitzensport ist zermürbend, auch wenn man es nicht oft sagt. Aber er ist vor allem mental zermürbend», fährt die Tessinerin fort. Del Ponte verhehlt nicht, dass sie unter depressiven Episoden gelitten hat. «Man neigt dazu, diese Dinge zu verstecken. Ich neige sogar dazu, sie nicht zu akzeptieren…»
Trauerbewältigung beim Olympia-Final
Die Trauerbewältigung vollzog sie auf besondere Art. Sie schaute sich mit ihren Eltern im Stadion von Paris den Olympiafinal der Frauen über 100 m an. «Ich habe während des Finales die Augen geschlossen. Das war meine Art, all das hinter mir zu lassen. Ich muss zugeben, dass es mir manchmal im Herzen weh tut. Dass ich nicht dabei sein konnte, wird immer eine Enttäuschung bleiben. Es war eine schmerzhafte Phase. Aber ich musste akzeptieren, dass es nicht meine Zeit war», betont die mit 10,90 Sekunden zweitschnellste Schweizerin über 100 m.
Ihre Gedanken sind jetzt nach vorne gerichtet, aber die Sprinterin will sich nicht zu schnell Ziele setzen. «Im Moment lasse ich die Dinge auf mich zukommen. Aber wir sind Athletinnen, wir arbeiten mit Zielen. Es wäre schon toll, wieder das Trikot der Schweizer Nationalmannschaft zu tragen, aber die Konkurrenz im Sprint ist gross», gibt Ajla Del Ponte zu bedenken.
«Ich muss die Dinge der Reihe nach angehen. Das erste Ziel ist es, eine komplette Hallensaison absolvieren zu können», eine Hallensaison, die sie in gut einem Monat nach dem traditionellen Trainingslager in Südafrika in Angriff nehmen wird. «Aber die Zeit zählt im Moment nicht. Ich möchte vor allem wieder Spass am Wettkampf haben.»