Bestseller-Verfilmung über die heilende Kraft der Natur
«The Outrun» erzählt die Geschichte einer Alkoholikerin, die sich in ihr Leben zurückkämpft. Und mehr noch handelt der Film von der heilenden Kraft der Natur. Der Schweizer Kameramann Yunus Roy Imer sagt, wie er Wind, Meer und Landschaft in Szene gesetzt hat.
Wellen, Wind, ein dumpfes Grollen, eine Handvoll Häuser in einer kargen Landschaft, die dem Meer und dem Himmel farblich so ähnlich ist, dass die Grenzen kaum auszumachen sind. Grün, Blau, Grau – das alles «wirkt erst einmal wie entsättigt». So beschreibt der Schweizer Kameramann Yunus Roy Imer seinen ersten Eindruck von der Natur auf den Orkney Inseln ganz im Norden Schottlands. Als «so reduziert, dass es zunächst fast ein bisschen langweilig erscheint».
Natur in Buch und Film
Genau darauf sollte in der Literaturverfilmung «The Outrun», die jetzt in den Kinos läuft, das Hauptaugenmerk gelegt werden. Denn zentral ist die Natur auch in den Memoiren der schottischen Autorin und Journalistin Amy Liptrot, auf denen der gleichnamige Film basiert. Der 2016 veröffentlichte Debütbestseller (Deutsch: «Nachtlichter») fällt durch seine aufmerksamen Beobachtungen der Landschaft, der Tiere, der Pflanzen und der intensiven Auseinandersetzung damit in die Kategorie «Nature Writing».
Liptrot beschreibt darin nicht nur, was sie sieht, sondern auch, welche heilende Kraft die Natur auf sie hat. Nach zehnjähriger Alkoholabhängigkeit in London, wo sie als Journalistin arbeitete und den Job verlor, gelingt es ihr in ihrer alten, rauen Heimat, von ihrer Sucht loszukommen und ins Leben zurück zu finden.
Die deutsche Filmemacherin Nora Fingscheidt («Systemsprenger», «The Unforgivable») habe Natur und Naturwissenschaft für eine sehr wichtige Erzählebene gehalten, schon bevor sie begonnen hat, das Drehbuch zusammen mit Amy Liptrozu zu schreiben, erzählt Yunus Roy Imer im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Der international tätige Filmschaffende hat mit Fingenscheidt studiert und seit 2008 zahlreiche Projekte realisiert. Für sie als eingespieltes Team sei die Natur auf den Orkneys «ein spannendes, neues Element» gewesen.
London versus Orkneys
Ein Teil der Dreharbeiten fand in London statt. Danach habe die Reise auf die Orkney-Insel gewirkt wie eine Fahrt in eine andere Welt. «Es gibt dort je nach Inselgrösse weder Verkehr noch Leuchtreklamen, kaum Bäume und das Gras ist von den ständigen Böen plattgedrückt», so Imer. «Man kann den Wind also nur beim Blick auf die Wellen ausmachen.» Im Film liesse er sich erst recht nur zeigen, indem man einen Menschen mit Haaren oder ausreichend weiten Kleidern ins Bild stelle. «Der Sound war also ein sehr wichtiges Element.»
Ein paar Ideen für die Naturaufnahmen hatte Yunus Roy Imer vor den Dreharbeiten schon im Kopf. Dass er eine Drohne einsetzen würde etwa, um Orte zu zeigen, die man sonst nicht erreichen kann. Oder damit man sieht, wie die Wellen auf das Land zurollen. Oder besser: grollen – diesen Ausdruck verwendet Amy Liptrop öfter in ihrem Buch.
Viele Aufnahmen sind aber auch spontan zwischendurch entstanden, als Imer mit einer Kamera ausgerüstet Spaziergänge unternahm. Für die Unterwasseraufnahmen von den Seehunden wurde ein lokaler Naturfilmer und Fotograf engagiert. Dass die Natur, insbesondere die Vögel, so ungestört wie möglich bleiben, war eine klare Vorgabe von Vogel- und Naturschutzorganisationen.
Die Natur zu zeigen, ist das eine, deren heilende Kraft zu vermitteln, das andere. «Die Buchvorlage besteht zu grossen Teilen aus inneren Monologen zu diesem Thema», so Yunus Roy Imer. Diese zu veräusserlichen, ohne klischeehaft zu werden, sei die grösste Herausforderung gewesen.
Originalschauplätze auf den Orkneys
In einem Artikel für die britische Zeitung «The Guardian» schrieb Amy Liptrop über genau dieses «zentrale Problem». Sie erwähnte die Szene, in der die umbenannte Hauptfigur Rona (Saoirse Ronan) die Fähre betritt, um nach London zurückzufahren. Wie sie ihre Kopfhörer abnimmt und die Geräusche der Natur wahrnimmt. «Von Sehnsucht gepackt, rennt sie von der Fähre, bevor diese losfährt», schrieb Liptrot. Und fügte an, dass das so nie wirklich passiert sei, doch der Einbezug der fiktionaler Elemente habe geholfen, ihre Gefühle für die Natur im Film zu vermitteln.
«The Outrun» führt das Publikum an die Originalschauplätze – auf den Hof, auf dem Amy Liptrot aufgewachsen ist, in das Haus, in dem sie sich von ihrer Alkoholkrankheit erholte und an den Küchentisch, an dem sie ihre Memoiren schrieb. Dass der Film ständig zwischen Rückblenden, also dem Partyleben in London, und dem Entzug in der Abgeschiedenheit wechselt, hilft, das raue Klima im Kontrast zur Stadt hervorzuheben.
Yunus Roy Imer hat diesen Tapetenwechsel während der Dreharbeiten am eigenen Leib erlebt und meint: «Auf den kleinen Orkney-Inseln ist das Leben total entspannt, man schliesst weder das Auto noch die Haustüre ab und lässt sich irgendwie gehen.» Seine Haare seien richtig lang geworden in dieser Zeit und gewachsen sei auch sein Erstaunen darüber, was man in einer Grossstadt denn überhaupt noch wolle.*
*Dieser Text von Miriam Margani, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.