G20-Gipfel in Brasilien: Ambitionierter Lula und «lahme Enten»
Der Zuckerhut wolkenverhangen, schwer bewaffnete Militärs an der Copacabana und aufgrund zusätzlicher Feiertage vergleichsweise entspannte Einwohner - so empfängt die brasilianische Metropole Rio de Janeiro die Teilnehmer des G20-Gipfels. Gastgeber und Präsident Luiz Inácio Lula da Silva will den Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer bei dem zweitägigen Treffen ab Montag ein Bekenntnis zum Kampf gegen den Hunger und gegen den Klimawandel abringen.
Auch ein Umbau des internationalen Systems gehört zu den erklärten Zielen der brasilianischen G20-Präsidentschaft. Lula kritisierte bereits mehrfach den UN-Sicherheitsrat als unglaubwürdig und warf internationalen Finanzinstitutionen wie etwa der Weltbank vor, sich zu stark in die inneren Angelegenheiten der Länder einzumischen. Lula versteht Brasilien als Sprachrohr des globalen Südens und will den Schwellenländern mehr Gehör verschaffen.
Scholz: Multipolare Welt zu guter Welt machen
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht dem aufgeschlossen gegenüber. «Neue mächtige Länder treten auf der Weltbühne auf und das ist erst mal gut so. Aber gleichzeitig ist mit dieser Neuordnung der Welt natürlich verbunden, dass viele Dinge neu besprochen, neu verhandelt werden müssen», sagte er vor seinem Abflug nach Rio de Janeiro. Es gehe darum, diese multipolare Welt zu einer guten Welt zu machen.
Der für seine sozialpolitischen Innovationen bekannte Präsident Lula setzt auch dieses Mal auf Neuerungen. Am Wochenende vor dem G20 fand erstmals ein Sozialgipfel statt, bei dem in den umfunktionierten Hallen des neuen Hafens in Rio über das Klima, bezahlbaren Wohnbau oder die Rechte Indigener diskutiert wurde. Lula will zeigen, dass sich der G20 nicht abschottet, sondern die Zivilbevölkerung einbezieht.
Er versprach, die Ergebnisse des Sozialgipfels in die G20-Sitzungen mitzunehmen. Und rief die Menschen zu Protesten auf, sollten die Staatenlenker den Forderungen nicht nachkommen. Doch angesichts einer Vielzahl internationaler Krisen, «lahmer Enten» – scheidende Politikern mit begrenztem Einfluss – und der Rückkehr von Donald Trump ins Weisse Haus, die bereits ihre Schatten vorauswirft, sind die Erwartungen gebremst.
Trump vor den Toren – Beschlüsse mit kurzem Ablaufdatum?
Scholz’ Koalition in Berlin ist zerbrochen, US-Präsident Joe Biden scheidet im Januar aus dem Amt aus – so reisen beide als politische Leichtgewichte nach Rio. Biden versicherte seinen Partnern nach der ersten Amtszeit von Trump, dass sie sich auf die USA verlassen könnten – er betonte den hohen Stellenwert internationaler Bündnisse und Abkommen.
Sein Vorgänger und Nachfolger Trump setzt in der Aussenpolitik hingegen auf Isolationismus und «America First», Kooperation und Kommunikation auf Augenhöhe gehören nicht zum Politikstils des Republikaners. Auch in der Klimapolitik will er das Rad wieder zurückdrehen. Biden muss so auf der grossen Bühne in Rio der Tatsache ins Auge sehen, dass viele seiner Errungenschaften der vergangenen vier Jahre wieder zunichtegemacht werden dürften.
Ukraine nicht eingeladen und offiziell nicht auf der Agenda
In Rio bietet sich für den Demokraten noch einmal die Gelegenheit, für die Unterstützung der Ukraine zu werben. Biden hatte den Westen nach Ausbruch von Russlands Angriffskrieg hinter der Ukraine versammelt und Kiew mit Waffenlieferungen in Milliardenhöhe unterstützt. Das dürfte unter Trump Geschichte sein – der Republikaner will den Krieg schnell beenden und hat mehrfach deutlich gemacht, dass die Militärhilfe bald austrocknen dürfte.
Lula will den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf dem G20-Gipfel erst gar nicht zur Sprache bringen. «Wir haben den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nicht eingeladen, und der russische Präsident Wladimir Putin wird nicht teilnehmen. Wir glauben nicht, dass dieses G20-Forum ein Ort sein wird, um den Krieg zwischen den beiden Ländern zu diskutieren», sagte er zuletzt in einem Interview des französischen Senders TF1. Eine Reise nach Rio hätte für Putin ohnehin riskant werden können, weil gegen ihn wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen in der Ukraine ein Haftbefehl des Weltstrafgerichts vorliegt.
Die G20-Gruppe ist das einzige Gesprächsformat, in dem Russland und die Nato-Staaten noch mit hochrangigen Vertretern an einem Tisch sitzen. Scholz, der erst am Freitag erstmals nach fast zwei Jahren mit Putin telefoniert hatte und dafür kritisiert wurde, plant in Rio kein Gespräch mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow, der Putin vertritt. Er wird nach Angaben aus seinem Umfeld aber mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über den Ukraine-Krieg sprechen, der als wichtigster Verbündeter Putins gilt.
Lula macht den Ärmsten Hoffnung
Ohnehin ist Lulas Priorität beim Gipfel der Kampf gegen den Hunger. Eröffnet wird der G20-Gipfel am Montag mit dem Startschuss zur Globalen Allianz gegen Hunger und Armut. Die Mitgliedsländer, darunter auch Deutschland, wollen in der Gruppe ihre Erfahrungen austauschen und Massnahmen für Ernährungssicherheit abstimmen. In seinen ersten Amtszeiten holte Lula mit dem Programm «Fome Zero» (Null Hunger) und der Familiensozialhilfe Millionen Brasilianer aus der bittersten Armut.
«Ich möchte den Millionen von hungernden Menschen in der Welt sagen, den Kindern, die nicht wissen, ob sie etwas zu essen bekommen: Vielleicht gibt es heute nichts, aber morgen wird es etwas geben», sagte Lula.