Caipirinha und Käsebällchen mit Showman Lucas Pinheiro Braathen
Ein Jahr nach dem überraschenden Rücktritt kehrt der beste Slalomfahrer der Gegenwart als Brasilianer in den Weltcup zurück. Der schillernde Exzentriker Lucas Pinheiro Braathen hat wieder Grosses vor.
Hoch hinaus soll es nach dem einjährigen Unterbruch wieder gehen bei Lucas Pinheiro Braathen, dem besten Slalomfahrer der Saison 2022/23. Auf und neben der Piste. «Ich bin ein Showman, es geht um Entertainment und Geschichten. Darum sind wir alle hier», sagt der 24-jährige Paradiesvogel an diesem etwas vernebelten Tag hoch über Sölden. Und: «Ich bin nicht zurückgekommen, um einfach dabei zu sein. Ich will der Beste sein!»
Hoch hinaus sollte es deshalb auch für den ersten Medientermin seit dem Rücktritt vor einem Jahr gehen – auf den Gaislachkogel, das Dach von Sölden, wo er 2020 seinen ersten Weltcupsieg gefeiert hat, vor einem Jahr völlig unvermittelt zurückgetreten ist und nun zurückkehrt. Serviert wird in dem auf 3048 m ü. M. gelegenen «Ice Q» des Gourmet-Restaurants bei der Bergstation der Gaislachkogelbahn Caipirinha, dazu gibt es Pão de Queijo, brasilianische Käsebällchen – «sein Lieblingsessen», erklärt der Kellner.
Das Setting ist unkonventionell und spektakulär – exzentrisch, so wie Braathen Pinheiro selbst, der seine Haare an diesem Tag unter einer flauschigen weissen Kappe versteckt, eine weite beige Hose, dicke Daunenjacke und darunter ein eng geschnittenes dunkelgrünes Langarm-Shirt trägt. Rund 100 Medienschaffende sind der Einladung gefolgt.
Keiner wie Hirscher
Lucas Pinheiro Braathen, Marcel Hirscher und vielleicht bald auch noch Lindsey Vonn: Es ist die Saison der Rückkehrer. Was ganz gut passt zu diesem auf Traditionen beharrenden, von «alten weissen Männern» diktierten Sport, der sich den Auswirkungen des Klimawandeln beharrlich, ja fast schon verbissen widersetzt und zu gerne in der «guten alten Zeit» schwelgt.
Der norwegisch-brasilianische Rückkehrer passt eigentlich nicht in diese Riege der aus der Vergangenheit Auferstandenen. 24 Jahre alt erst ist der Sohn einer Brasilianerin aus dem Einzugsgebiet von São Paulo und eines Vaters «aus dem norwegischen Wald», wie Pinheiro Braathen es beschreibt – und so etwas wie der wilde Gegenentwurf zu den starren Strukturen im Ski-Kosmos.
Nur ein Jahr war Pinheiro Braathen weg, vorübergehend abgetreten als bester Slalomfahrer der Gegenwart, weil er sich nicht mehr in die Strukturen des norwegischen Skiverbandes eingliedern wollte, die den Athleten seiner Meinung nach wenig Spielraum zur Selbstvermarktung lässt. Sein Sohn sei überhaupt nicht mehr happy gewesen, sagt Lucas’ Vater Björn Braathen. Vor einem Jahr habe dieser ihm in Sölden gesagt, dass er nicht mehr könne. Also wählte man den Notausgang. Es folgte der Satz: «I’m out.»
Anfangs habe er es genossen, seine anderen Leidenschaften auszuleben, schildert Pinheiro Braathen die kurze Zeit im sportlichen Ruhestand. Nach einigen Tagen in Norwegen und einem längeren Aufenthalt in Brasilien, «der Heimat meiner halben Familie», trat er als DJ auf, wagte sich auf den Laufsteg. «Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich als Skirennfahrer besser bin als als Model», sagt er, der Idolen wie dem brasilianischen Ballkünstler Ronaldinho, dem Genie Steve Jobs oder dem durchgeknallten US-Basketballer Dennis Rodman nacheifert, mit einem Lachen.
Drei Trainer, ein eigener Fotograf und viel PR
Nun kehrt Pinheiro Braathen als Brasilianer zurück und muss sich nicht mehr den Vorgaben des norwegischen Verbandes unterwerfen. Seine potenten Sponsoren rollten ihm den roten Teppich aus. Drei Skitrainer hat er in seinem «Team Pinheiro», dazu einen Konditionstrainer, einen Servicemann, eine Marketingverantwortliche, einen persönlichen Foto- und Videojournalisten als Content Creator und seinen Vater als Manager.
Ganz im Sinn seiner Sponsoren geht Braathen Pinheiro auch verbal in die Offensive, spricht auf dem Gaislachkogel medienwirksame Sätze wie «Mein Leben lang habe ich probiert, irgendwo hineinzupassen. 18 Jahre habe ich versucht, von allen gemocht zu werden, 18 Jahre habe ich gebraucht, um zu realisieren, dass mir das schadet». Und: «Ich glaube, unser Sport wird nur besser, wenn er mehr Diversität ermöglicht.»
In seinem neuen Kapitel will Pinheiro Braathen nicht nur wieder der Beste sein. Er will auch den Skirennsport verändern – «ihn aufmischen», «modernisieren» und «mehr Rock’n’Roll hineinbringen», zudem «Brasilianer zum Skifahren animieren», «eine brasilianische Ski-Army aufbauen». Seine übergeordnete Message lautet: Verwirkliche deine Träume, sei frei, entfalte dich. «Du kannst sein, wer und was du willst», sagt Pinheiro Braathen. Er selbst ist jetzt wieder die Schillerfigur im Ski-Weltcup.