Essayist Gauss stellt sich gegen Regierungsbeteiligung der FPÖ
Der österreichische Essayist, Feuilletonist und Chronist Karl-Markus Gauss findet, dass die FPÖ keiner Regierung angehören dürfe. Gegenüber der österreichischen Nachrichtenagentur APA begründet er einen Tag nach der Nationalratswahl in Österreich, warum.
APA: Was bedeutet das Ergebnis emotional für Sie, politisch für das Land und praktisch für die Kultur?
Karl-Markus Gauss: «Vor zwei Wochen geht das halbe Land unter, aber zur stärksten Partei wählen wir jene, die den Klimawandel leugnet. Das Wirtschaftsprogramm der FPÖ ist rabiat gegen die so genannten kleinen Leute gerichtet, aber diese jubeln Herbert Kickl zu. Mein Menschenbild hat mich genötigt, viele Jahre die Augen vor einer offenkundigen Tatsache zu verschliessen: Dass die Dummheit eine Macht ist und Ungeheuer gebiert. Weil ich mir mein Menschenbild, mich frei von Verachtung zu halten, bewahren möchte, trifft mich diese Wahl persönlich.»
APA: Welche Gründe sehen Sie dafür – FPÖ auf Platz 1, starke Verluste für die bisherigen Regierungsparteien, Stagnation bei der SP?
Gauss: “Die beiden einst grossen Parteien haben zielgerichtet auf den Triumph der FPÖ hingearbeitet. Die ÖVP hat sich jahrelang die rechten Parolen der FPÖ zu Eigen gemacht und diese damit genötigt, immer extremistischer zu werden, um sich von ihrem bürgerlichen Plagiator noch zu unterscheiden. Und sie hat die Kellernazis (Copyright: Oskar Deutsch) in Landesregierungen gehievt und damit zu Demokraten nobilitiert. Warum sollen sie dann, gegebenenfalls, nicht gleich die Bundesregierung übernehmen?
Im Selbstzerstörungswerk der Zweiten Republik hat die ÖVP in der SPÖ einen zuverlässigen Koalitionspartner gehabt. Diese kämpft seit Jahren gegen sich selbst, vermutlich nicht nur wegen der Eitelkeit und dem Egoismus, sondern auch der Fantasielosigkeit wichtiger Funktionäre: Die können sich gar nicht vorstellen, was anderen sozialdemokratischen Parteien schon widerfahren ist, dass ihre Partei nämlich in der Bedeutungslosigkeit versinkt.”
APA: Wie weit ist das «hausgemacht» oder Teil eines internationalen Trends – und wenn Letzteres: Macht das irgendetwas besser?
Gauss: «Die digitale Formierung unserer Gesellschaft hat in allen Bereichen zu einer Art von Kurzatmigkeit, zu einer dauererregten Schnappatmung geführt, die Wut schiesst schnell hoch, der Hass hat sein Medium gefunden. Die Digitalisierung erschwert es, auf Vernunft oder Aufklärung zu setzen und mit den besseren Argumenten noch gehört zu werden.»
APA: Welche Regierung wünschen Sie sich nun angesichts dieser Konstellation?
Gauss: «Da kein Zweifel daran bestehen kann, dass die FPÖ die bürgerliche Demokratie selbst für jenes »System« hält, das sie abschaffen möchte, darf sie keiner Regierung angehören. Man soll sich auch nicht überzeugen lassen, dass die Meinung von 29 Prozent der Wähler schwerer wiegt als die der 71 Prozent, die nicht von Fahndungslisten für politische Feinde und Meldestellen für unbotmässige Lehrer schwärmen. Die Vorstellung einer Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos hat wenig Verführerisches. Sie wird nach Lage der Dinge vermutlich eine staatspolitische und demokratische Notwendigkeit sein, aber darf dann nicht nach deutschem Vorbild scheitern.»
Karl-Markus Gauss war von 1991 bis 2022 Herausgeber und Chefredaktor der Literaturzeitschrift «Literatur und Kritik». Einem breiten Publikum ist er als Kolumnist für die «Neue Zürcher Zeitung», die «Süddeutsche Zeitung» oder mehrere österreichische Zeitungen bekannt. Sein Werk besteht vor allem aus Essays und umfasst zudem Reiseberichte und Journale. Darin bezieht er Stellung für eine menschliche Welt mit genauem Blick für die Zwiespältigkeit des modernen Lebens. Unter anderem wurde Gauss mit dem Österreichischen Kunstpreis für Literatur (2014), mit dem Jean-Améry-Preis (2018) oder dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (2022) ausgezeichnet. Er wurde 1954 in Salzburg geboren, wo er auch heute lebt und arbeitet.