Aufwändige Suche nach Nachwuchs für den Para-Sport
Der Para-Sport kämpft um Nachwuchs. Das ist eine Tatsache ohne sarkastischen Unterton. Viele Menschen mit Geburtsgebrechen oder Verunfallte wissen gar nicht, dass ihnen diese Möglichkeit offen stünde.
Der Jubelschrei von Flurina Rigling am Dienstag an der Rad- und Paracycling-Strassen-WM in Zürich liess niemanden kalt. Die Lokalmatadorin, die seit Geburt mit einem Handicap an beiden Händen und Füssen lebt, gewann in ihrer Kategorie C2 Gold. Die 28-Jährige hat sich im Para-Spitzensport etabliert, aber die Art und Weise des Einstiegs in die Szene überrascht.
Vor ein paar Jahren nahm Flurina Rigling das Telefon in die Hand und rief PluSport an. Sie erklärte dem Gegenüber bei Behindertensport Schweiz ihre Einschränkungen, beschrieb ihre Freude am Sport und erkundigte sich, welche Disziplin als Para-Sportlerin für sie wohl geeignet wäre.
«So etwas ist natürlich ein Glücksfall für uns», sagt Olivia Stoffel, Leiterin Spitzensport bei PluSport Behindertensport Schweiz und Delegationsleiterin Para-Cycling an der Rad-WM. «Denn oft haben wir Schwierigkeiten, Athletinnen und Athleten ins System zu bringen.»
Die zwei Wege
Im Para-Sport ist der Anteil von Athletinnen und Athleten mit Geburtsgebrechen etwa gleich gross wie der Anteil mit Unfall oder Erkrankung. Jugendliche mit Geburtsgebrechen gehen beim Einstieg in den Para-Sport den klassischen Weg von Regelsportlern – sofern die Angehörigen eben wissen, dass ein Angebot besteht. «Wir versuchen in allen Winter- und Sommer-Sportarten bis an die Basis runter den Para-Sport bekannt zu machen», sagt Olivia Stoffel und zählt viele der Bemühungen auf: Schulbesuche, aktive und ehemalige Para-Sportler als Botschafter, Networking mit den Sportverbänden, Eltern informieren, Trainer ansprechen und vieles mehr. «Die Para-Cycling-WM in Zürich hilft uns enorm», schwärmt die Bündnerin. «Die Medienpräsenz, das Publikum, einfach toll. All dies macht unseren Sport bekannt.»
Bei der Gruppe der verunfallten und erkrankten Sportlerinnen und Sportlern erfolgt der erste Kontakt mit dem Para-Sport oft in einem Rehabilitations-Zentrum wie Nottwil oder Bellikon. Dort wird informiert. Denn die künftigen Para-Asse waren zuvor selten bereits im Spitzensport aktiv, sondern einfach im Alltag sportlich unterwegs.
Die Materialschlacht
Einmal im Para-Sport angekommen, beginnt eine weitere Schwierigkeit: Das Material. Ein Handbike oder ein Dreirad beispielsweise kauft man sich nicht einfach so, um zu schauen, ob einem der Sport behagen würde. «Wir als Sportverband stehen hier in der Pflicht, dieses Material zu beschaffen und auszuleihen», sagt Olivia Stoffel.
Hinzu kommt ein oft erhöhter Aufwand fürs Training. In einigen wenigen Sportarten lässt sich dieses in den Regelsport integrieren, bei anderen Disziplinen wiederum gestaltet sich alles sehr aufwändig und materialintensiv.
Olivia Stoffel erzählt eine Episode von den Paralympics in Paris, wo sie als Sportchefin und Stellvertreterin des Schweizer Chefs de mission amtete. Bei den Wettkämpfen im Stade de France auf der Leichtathletik-Bahn habe man gemerkt, dass der Veranstalter mit der Fülle des Materials im Stadion gefordert ist. «Salopp gesprochen: Ein 100-m-Läufer bringt ein Paar Turnschuhe mit, wir etwas mehr.»
Kosten für Spezialanfertigungen
Spitzensport ist teuer – das ist auch im Regelsport so. Und doch besteht ein Unterschied. Im Para-Sport kommen die Spezialanfertigungen hinzu. Dabei geht es nicht nur um Prothesen, Velos oder den Rollstuhl, sondern um spezifische Anpassungen, die ins Geld gehen.
Flurina Rigling beispielsweise lebt mit einem statt fünf Strahlen an den Händen und Füssen. Das Greifen und Abstützen am Lenker ist eine knifflige Sache. Deshalb liegen ihre Hände in einer Schale, entwickelt von der ETH Zürich. So kann sie mit ihrem einen Finger besser schalten und bremsen. Oder ihre Schuhe stammen aus dem 3-D-Drucker.
Im Para-Cycling gibt es im Vergleich zum Regelsport keine Teams. Die Aktiven müssen ihr Material selber finanzieren. Ein Handbike beispielsweise kostet über 15’000 Franken. Einige Athletinnen und Athleten haben nun vermehrt Sponsoren, aber bei weitem nicht alle.