Joël Schmied ist froh, nicht Captain von Mario Balotelli zu sein
Der Aufsteiger FC Sion gehört in den ersten Wochen der Super-League-Saison 2024/25 zu den positiven Überraschungen. Interimscaptain Joël Schmied nennt im Interview die Gründe für den gelungenen Start.
Joël Schmied führt den FC Sion in Abwesenheit von Reto Ziegler als Captain an. Der Innenverteidiger stiess 2021 zu den Wallisern und machte mit dem Klub mit dem Hang zum Drama eine bemerkenswerte Transformation durch. Im Interview mit Keystone-SDA spricht der 25-jährige Berner unter anderem über die Gründe, weshalb beim 13-fachen Cupsieger nach turbulenten Jahren endlich Ruhe eingekehrt ist.
Der FC Sion ist als Aufsteiger mit einer sensationellen Ausbeute von neun Punkten in vier Spielen in die Super-League-Saison gestartet und liegt auf dem 2. Platz. Haben Sie das erwartet?
«Erwartet ist das falsche Wort. Wir haben uns gut vorbereitet und eine solide Vorbereitung gespielt. Dass das Team gegenüber letztem Jahr mehr oder weniger dasselbe ist, ist sicherlich hilfreich. Wenn fünf oder zehn neue Spieler neu dazugekommen wären, müssten die Abläufe neu erlernt werden.»
Sion war in der Vergangenheit dafür bekannt, viele Nebengeräusche abseits des Rasens zu produzieren. Seit der letzten Saison wirkt es so, als ob im Wallis ein anderer Wind weht. Ruhe und Konstanz sind eingekehrt. Sie haben den Abstieg vor einem Jahr und den direkten Wiederaufstieg mitgemacht. Wie nehmen Sie das Ganze wahr?
«Als mich Marco Walker zu Sion holte, waren wir 40 bis 50 Spieler auf dem Platz. Wir haben damals auf allen drei Trainingsplätzen trainiert, jetzt brauchen wir nur noch einen. Ich bin froh, dass der Klub die Richtung gefunden hat, in die er gehen will. In der Schweiz ausgebildete Spieler ergänzt mit qualitativen Spielern aus dem Ausland ist eine wichtige Grundlage. Zudem ist eine gewisse Konstanz mit dem Trainer, der länger als eine Saison bleibt, wichtig. So kann man sich gegenseitig Vertrauen und Zeit schenken, da meiner Meinung nach langfristige Projekte Erfolg bringen. Ändern sich in einem Team zu oft zu viele Dinge, kommt dies selten gut.»
Wie kam es zu diesem Philosophie-Wechsel?
«Die Veränderung kam mit Didier Tholot. Der Abstieg in die Challenge League tat ganz klar weh, war gleichzeitig aber auch wichtig. Sion verpflichtete viele Spieler, die auf dem Papier erstklassig waren, es auf dem Platz aber nicht zeigen konnten. Durch den Abstieg konnte ein radikaler Umbruch mit Spielern, die Ambitionen haben, diszipliniert und professionell sind, erreicht werden. Aktuell haben wir keinen so hochkarätigen Spieler im Kader und dennoch läuft es gut. In der Vergangenheit hatten wir immer mal wieder bekannte Namen und Spieler von grossen Vereinen in den eigenen Rängen und doch haben wir stets gegen den Abstieg gespielt.»
Kaum ein Sion-Trainer war so oft und so lange im Amt wie Didier Tholot. Was zeichnet ihn aus?
«Tholot ist ein defensiv-orientierter Trainer, obwohl er früher Stürmer war. Er legt extremen Wert auf die Defensive. Gerade das Verschieben mit der Viererkette und den beiden Sechsern ist ihm wichtig. Wir sind oft gut organisiert. Wenn etwas fehlt, dann eher der Druck nach vorne und die dortige Lösungsfindung.»
Wie nimmt das die Mannschaft auf?
«Jeder gibt die ganze Woche Vollgas. Dies wird vom Trainer vorausgesetzt. Hat jemand das Gefühl, nicht 100 Prozent geben zu müssen, interveniert der Trainer von der Seitenlinie. In dieser Hinsicht ist Tholot berechtigterweise streng und kann, wenn nötig, auch mal lauter werden. Das ist genau das, was wir in Sion brauchen. Jemand der konsequent auftritt und handelt.»
Tholot hat Sie in dieser Saison zum Captain ernannt, zumindest bis Reto Ziegler wieder fit ist. Sie scheinen also eine gute Beziehung zu ihm zu haben?
«Er ist eine sehr direkte und ehrliche Person, was auch meiner Art entspricht. Aber nur weil ich vorübergehend die Captainbinde trage, bedeutet dies nicht, dass ich die alleinige Verantwortung trage. Wir haben viele Spieler, die intern und extern Verantwortung übernehmen. Was eine ehrenvolle Aufgabe ist, bringt auch viel Arbeit mit sich. Man fungiert als Bindeglied und führt mehr Gespräche mit dem Trainer, was zeitaufwändiger ist.»
Was sind denn die Herausforderungen als Captain?
«Ich bin Bindeglied zwischen Trainer und Team und muss mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn ich selten mal einen schlechten Tag habe, darf ich mir das nicht ansehen lassen. Man fungiert stets als Vorbild.»
Sind Sie froh, dass Mario Balotelli nicht mehr im Kader ist?
«Ich glaube schon. Als Captain hätte ich ihm wohl nicht viel sagen können.»
Bei ihrem ersten Spiel als Captain stand Ihnen ein vertrautes Gesicht gegenüber.
«Meine Schwester hat letztes Jahr David von Ballmoos geheiratet. Sie sind 14 Jahre zusammen und ich kenne ihn entsprechend genauso lange. Ich habe zwei Trainingslager mit ihm zusammen gemacht, daher ist es schon speziell gegen ihn zu spielen. Als wir beide als Captain ins Wankdorf einliefen, mussten wir ein wenig schmunzeln. Für mich als Berner war das Spiel im Wankdorf sonst schon speziell. Umso bedeutungsvoller, das erste Spiel der Saison mit der Captainbinde in Bern zu gewinnen.»
Blicken wir noch einmal auf die letzte Saison in der Challenge League zurück. Wie haben Sie diese wahrgenommen?
«Mit dem Challenge-League-Team hatten wir den Druck, aufzusteigen. In der Challenge League spielt man einen ganz anderen Fussball. Es gibt zahlreiche Duelle, die Spiele sind hart und die Zuschauer nehmen oftmals für schlechte Stadionplätze lange Fahrten auf sich. Es ist keine einfache Liga. Alle Teams, die absteigen, haben den Drang, direkt wieder aufzusteigen. Bei uns war es genauso.»
Was ist das Besondere an der Atmosphäre der Challenge League?
«Die Zuschauer sind einem teilweise näher als in der Super League. Man bekommt mehr vom Spielfeldrand mit, hört Buhrufe, aber auch freudige Schreie. Das macht den Fussball irgendwie auch aus. In den grossen Stadien hört man dies viel weniger.»
In den «grossen» Stadien der Super League performt ihr. Im Cup in Delémont wart Ihr hingegen erst im Penaltyschiessen erfolgreich. Wieso haben Oberklassige oftmals Mühe in diesen ersten Cup-Runden?
«Intern sind wir uns einig: Spiele gegen Teams aus der 1. Liga oder Promotion League sind die schwierigsten. Man kennt die Challenge League und Super League und weiss mittlerweile über die Taktiken der meisten Teams und Spieler Bescheid. Die Promotion League und 1. Liga verfolgt man weniger. Die Spiele dort sind viel wilder, hektischer und unkoordinierter. Dies kann einen teilweise überfordern. Hinzu kommt, dass es für Klubs aus der Promotion League oder 1. Liga das Spiel der Saison ist.»
Nichtsdestotrotz stimmt die Formkurve beim FC Sion. Sind die drei Punkte gegen Liga-Schlusslicht GC am Samstag budgetiert?
«Auf dem Papier würde ich uns trotzdem als Underdog bezeichnen, da wir erst kürzlich wieder aufgestiegen sind. Nichtsdestotrotz sind wir motiviert und haben die drei Punkte als klares Ziel.»