Marc Hirschi die Schweizer Nummer 1 im Strassenrennen
Marc Hirschi heisst die Schweizer Trumpfkarte im olympischen Strassenrennen vom Samstag.
Die happigen 273 km sind auf den Berner zugeschnitten, zumal der 25-Jährige auf die Helferdienste von Stefan Küng zählen kann.
Das Strassenrennen in Paris wird seine eigenen Gesetze kennen: Die Knöpfe in den Ohren der Profis sind wegen des Funk-Verbots verschwunden, die Fahrer pedalen nicht fremdgesteuert, mit bloss 90 Startern wird weniger Nachführarbeit möglich sein, und der Renninstinkt der Fahrer kommt mehr zum Tragen.
Hirschi und Küng kommt all dies entgegen. Mit der Tschechien-Rundfahrt beziehungsweise der Tour de France in den Beinen haben sich der Berner und der Thurgauer die nötige Ermüdungsresistenz geholt, um die sechs Stunden Fahrzeit über 2800 Höhenmeter durchzustehen. Als Aussenseiter können sie die Strapazen unbeschwert in Angriff nehmen. «Wir fliegen unter dem Radar», nennt Küng einen weiteren Vorteil. Und Hirschi meint: «Hinten hinaus liegt mir die Strecke, wenn es zuvor taktisch gut läuft.»
Inoffizielle Hierarchie
Hirschi tritt als Nummer 1 an. Diese Einstufung ist nicht offiziell, aber sie ergibt Sinn. Erstens verstärkt der Berner, nach dem Late-Athlete-Replacement-Prozess für Stefan Bissegger nominiert, das Schweizer Duo. Zweitens kämpfte Küng, der in den vergangenen Wochen immer wieder kränkelte, in den ersten Tagen in Paris mit Magenproblemen. Drittes sagt Küng: «Ich bin bereit, mich für Marc zu opfern.»
Das Rennen dürfte, so die Hoffnung von Hirschi, erst 100 km vor dem Ziel so richtig lanciert werden. Dann nehmen die Fahrer nach zwei happigen Hindernissen wieder Kurs auf Paris. Das Finale selbst führt über drei Runden. Highlight jeder dieser 20-km-Schlaufen ist der Kopfsteinpflaster-Anstieg hoch zum Montmartre, der eine Länge von einem Kilometer hat und eine durchschnittliche Steigung von 6,5 Prozent aufweist. Nach der dritten Überquerung fehlen noch 10 km bis zur Ziellinie beim Eiffelturm.
Hirschi will einerseits auf den ersten 180 km schonend durchkommen, andererseits läuft er mit zu passiver Fahrweise Gefahr, die entscheidende Attacke zu verpassen. «Es kann sein, dass sich bereits in der Startphase eine Gruppe absetzt – und das wars», sagt der WM-Dritte des Jahres 2020. Andererseits könne man auch nicht jedes Loch schliessen, oder es gehe in der Anfangsphase nur Küng mit. «Die Dänen und Niederländer werden sicher nachführen, wenn sie vorne nicht vertreten sind. Die Belgier hingegen sind mit ihren Siegfahrern schwer zu kontrollieren.»
Erneut ein Tag wie am Gold Race?
In Paris geht es um Gold, Silber und Bronze. Vielleicht ist es ein gutes Omen, dass Hirschi heuer sein bestes Eintagesrennen beim Gold Race zeigte, einem Klassiker der World Tour. Von Gold in Paris zu sprechen, ist zwar verwegen. Aber bei diesem Rennen kam Hirschi nach über 250 km mit einer kleinen Ausreissergruppe auf die Zielgerade und musste sich einzig dem Briten Thomas Pidcock geschlagen geben.
Und er hatte mit einer Attacke 35 km vor dem Ziel auch den Weltmeister Mathieu van der Poel abgehängt. Der Niederländer zählt am Samstag zu dem meistgenannten Favoriten – zusammen mit Wout van Aert aus Belgien sowie dessen Landsmann Remco Evenepoel, der nicht nur bei seiner Tour-de-France-Premiere Dritter wurde, sondern am vergangenen Samstag auch die Goldmedaille im olympischen Zeitfahren gewonnen hat.