Weltsicherheitsrat ruft zur Deeskalation in Nahost auf
Der Weltsicherheitsrat mahnt nach den gezielten Tötungen des politischen Anführers der islamistischen Hamas im Iran sowie des ranghöchsten Militärkommandeurs der Hisbollah im Libanon alle Konfliktparteien dringend zur Deeskalation.
Alle Aktionen, «die den gesamten Nahen Osten in den Abgrund treiben könnten», müssten vermieden werden, liess UN-Generalsekretär António Guterres in New York mitteilen.
Der Iran rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, gegen Israel vorzugehen. Nach Informationen der «New York Times» hat Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei als Vergeltung für die Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija den Befehl erteilt, Israel direkt anzugreifen.
Iran und Israel fordern internationale Reaktion
Die mutmasslich von Israel ausgeführte Tat in der iranischen Hauptstadt Teheran verstosse gegen internationales Recht und «deutet auf eine Absicht hin, den Konflikt zu eskalieren und den Krieg auf die gesamte Region auszudehnen», sagte der iranische UN-Botschafter Amir Saeid Iravani vor dem Weltsicherheitsrat in New York.
Der stellvertretende israelische Botschafter Jonathan Miller sagte, der Iran destabilisiere den gesamten Nahen Osten, indem die Islamische Republik Stellvertreter-Gruppen finanziere – als solche gelten insbesondere die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon und die mit ihr verbündete Hamas im Gazastreifen. «Wir fordern daher, dass dieser Rat den Iran für seine anhaltende Unterstützung des regionalen Terrorismus verurteilt und die Sanktionen gegen Teheran verschärft», sagte Miller.
Hanija war nach Angaben der Hamas in der Nacht auf Mittwoch bei einem israelischen Angriff getötet worden, während er Teheran besuchte. Israel, das sich mit der Hamas im Krieg befindet, hat die Tötung weder bestätigt noch dementiert.
Nur Stunden zuvor tötete Israels Armee den ranghöchsten Militärkommandeur der Hisbollah im Libanon, Fuad Schukr. Zwei der einflussreichsten Männer im massgeblich vom Iran betriebenen Kampf gegen Israel sind damit tot. Die Hamas und die als noch schlagkräftiger geltende Hisbollah zählen zu Teherans selbst ernannter «Achse des Widerstands» im Kampf gegen den jüdischen Staat. Deshalb ist mit den beiden Angriffen die Gefahr eines noch grösseren, regionalen Kriegs gestiegen.
Die Hisbollah kündigte für heute eine Rede ihres Generalsekretärs Hassan Nasrallah an. Irans oberster Führer Chamenei hat bereits öffentlich Vergeltung für den Tod Hanijas angekündigt. Chamenei habe den Befehl für einen direkten Angriff auf Israel bei einer Dringlichkeitssitzung des Obersten Nationalen Sicherheitsrates am Mittwochmorgen erteilt, meldete die «New York Times» unter Berufung auf drei angeblich über den Befehl informierte iranische Beamte. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. Zu Zeitpunkt und Umfang eines möglichen iranischen Vergeltungsangriffs gab es in dem Bericht der Zeitung keine Angaben.
Netanjahu: Israel stehen «herausfordernde Tage» bevor
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schwor seine Landsleute auf «herausfordernde Tage» ein. «Wir sind auf jedes Szenario vorbereitet und werden uns vereint allen Bedrohungen stellen», sagte Netanjahu nach einer Beratung des israelischen Sicherheitskabinetts im Militärhauptquartier in Tel Aviv.
Bundesaussenministerin Annalena Baerbock rief deutsche Staatsbürger im Libanon zur sofortigen Ausreise auf. Auch die USA raten Amerikanern strikt von einer Reise in Israels nördliches Nachbarland ab.
«Israel wird für jede Aggression gegen uns einen hohen Preis fordern, von jeglicher Front», sagte Netanjahu. Der Krieg werde noch andauern und verlange Stehvermögen von den israelischen Bürgern. «Seit Beginn des Krieges habe ich erklärt, dass wir uns im Kampf gegen die iranische Achse des Bösen befinden.»
Netanjahu wird von Kritikern im eigenen Land vorgehalten, er reagiere vor allem auf Angriffe und übernehme kaum selbst die Initiative. Die jüngsten Angriffe in Beirut und Teheran werden als Versuch gesehen, stärker in die Offensive zu gehen. Sie belegen auch Israels umfangreiche geheimdienstliche und militärische Fähigkeiten. Der von feindlich gesonnen Ländern umgebene Staat versucht zudem offenbar, seine Abschreckungsfähigkeit wieder herzustellen, die seit dem Terrorüberfall der Hamas auf Israels Grenzgebiet am 7. Oktober 2023 als massiv beschädigt galt.
Für den Iran ist es eine schwere Demütigung und ein Affront gegen seinen Sicherheitsapparat, dass Hamas-Auslandschef Hanija in Teheran getötet wurde, während er die Hauptstadt anlässlich der Vereidigung des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian besuchte. Dass der Iran wegen der Ermordung eines Hamas-Anführers in den Krieg ziehen werde, glaube sie aber nicht, zitierte das «Wall Street Journal» eine Analystin der International Crisis Group. Die Expertin verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die Hisbollah auch nach der Tötung des zweithöchsten Anführers der Hamas im Ausland, Saleh al-Aruri, bei einer Explosion in Beirut im Januar nicht in den Krieg gegen Israel gezogen sei.
USA: Keine Anzeichen für unmittelbar bevorstehende Eskalation
Auch die US-Regierung äussert sich weiterhin beschwichtigend. «Wir glauben nicht, dass eine Eskalation unvermeidlich ist, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass eine Eskalation unmittelbar bevorsteht», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby. Er wolle die aktuellen Bedenken nicht einfach abtun, man beobachte die Situation in der Region aber «sehr, sehr genau».
Die UN-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo, sagte vor dem Weltsicherheitsrat: «Es bedarf dringend diplomatischer Bemühungen, um die Richtung zu ändern und einen Weg zu regionalem Frieden und Stabilität zu finden.» Und weiter: «Die Kommunikation mittels Raketen, bewaffneter Drohnen und anderer tödlicher Angriffe muss ein Ende haben.»
Auf die Frage, welche Auswirkungen die Ereignisse in Beirut und Teheran auf die Verhandlungen um eine Waffenruhe im Gaza-Krieg haben könnten, antwortete Kirby, es sei noch zu früh für eine Beurteilung. «Es bleibt kompliziert, und die Berichte aus der Region, die wir in den letzten 24 bis 48 Stunden gesehen haben, machen es nicht weniger kompliziert.» Er wolle nicht zu optimistisch klingen, betonte Kirby. «Aber wir sind immer noch der Meinung, dass es sich lohnt, das vorliegende Abkommen weiterzuverfolgen.» Nach Auffassung der US-Regierung gebe es weiterhin «einen gangbaren Prozess» und «interessierte Gesprächspartner».