Nach Biden-Rückzug: Demokraten versammeln sich hinter Harris
Nach dem dramatischen Rückzug von US-Präsident Joe Biden aus dem Rennen um eine weitere Amtszeit versammeln sich mehr und mehr US-Demokraten hinter seiner Stellvertreterin Kamala Harris. Die 59 Jahre gilt damit derzeit als aussichtsreichste Ersatzbewerberin für die Wahl am 5. November. Sie hat von Biden und zahlreichen weiteren Parteigrössen öffentlich ihre Unterstützung erhalten und muss nun von ihrer Partei nominiert werden. Offen ist, ob die Partei Bidens Vorschlag folgt - und wen sich Harris als Vize an ihre Seite holen könnte. Der Nominierungsparteitag der Demokraten findet vom 19. bis 22. August in Chicago statt.
Mit dem Rückzug Bidens nimmt der US-Wahlkampf gut drei Monate vor dem Wahltag neue Fahrt auf. Das Lager um den frisch gekürten Kandidaten der Republikaner, Donald Trump, reagierte auf den Rückzug Bidens wütend. Gleichzeitig nutzen Trump und sein Vizekandidat J.D. Vance Bidens öffentliches Eingeständnis auch, um dessen Eignung als amtierender Präsident infrage zu stellen.
Demonstrative Einheit für Harris
Nachdem Biden seiner Vize die volle Unterstützung zugesagt hatte, sprachen sich auch eine Reihe weiterer Parteigrössen zügig für sie aus – darunter vor allem die ebenfalls als mögliche Bewerber gehandelten Gouverneure Gavin Newsom (Kalifornien), Josh Shapiro (Pennsylvania) und Roy Cooper (North Carolina).
Vom linken Flügel der Partei bekam Harris Unterstützung von der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez. Auch Konkurrenz von der einflussreichen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, muss die Vizepräsidentin nach deren Verzicht nicht fürchten. Der ehemalige Präsident Barack Obama sprach dagegen nur von der Zuversicht, dass «ein herausragender Kandidat» gefunden werde. In seiner Stellungnahme verlor er über Harris kein Wort.
Ob Harris Trump schlagen kann, ist offen. Viele Demokraten hoffen darauf, dass Harris zumindest verhindern kann, dass die Republikaner am Ende auch beide Kammern des US-Parlaments kontrollieren. Denn bei der Wahl im Herbst werden auch alle Sitze des Repräsentantenhauses sowie rund ein Drittel der Sitze im Senat neu vergeben.
Trump schäumt und stellt Eignung Bidens im Amt infrage
Trump äusserte sich nach dem Rückzug Bidens erbost und setzte auf seiner Online-Plattform Truth Social mehrere Posts in Folge ab. Sein Team habe Zeit und Geld in «den Kampf gegen den betrügerischen Joe Biden» investiert. «Jetzt müssen wir wieder von vorn anfangen», schrieb Trump.
«Der korrupte Joe Biden war nicht in der Lage, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, und er ist sicherlich nicht in der Lage, das Amt zu bekleiden – und war es auch nie!», schrieb er. In einem anderen Post ätzte er: «Es ist ein neuer Tag und Joe Biden erinnert sich nicht daran, dass er gestern aus dem Rennen ausgestiegen ist!»
Der 78-Jährige war beim Parteitag der Republikaner in Milwaukee vergangene Woche offiziell zum Kandidaten seiner Partei gekürt worden, ebenso Vance als Vizekandidat. Auf dem Parteitag inszenierte sich Trump nach dem Attentat auf ihn als Politiker, den die Schüsse verändert hätten und der nun das tief gespaltene Land einen wolle.
Trump ist 18 Jahre und vier Monate älter als Harris. Mit Bidens Rückzug ist Trump der älteste Präsidentschaftskandidat in der Geschichte der USA.
Die Krise der vergangenen Wochen
Seit Bidens desaströsem Auftritt bei einem Fernsehduell gegen Trump war die Kritik an seinem Alter immer grösser geworden. Während des Schlagabtauschs hatte sich der mächtigste Mann der Welt regelmässig verhaspelt. Er verlor den Faden, starrte mit offenem Mund ins Leere und konnte häufig seine Sätze nicht richtig beenden.
Biden selbst versuchte zunächst, sich herauszureden. Seinen schwachen Auftritt begründete er mit Müdigkeit in Folge anstrengender Auslandsreisen. Bei diversen Auftritten versicherte er trotzig, er werde sich nicht zurückziehen. Doch weitere Patzer folgten. Am Ende wurde der Druck aus den eigenen Reihen zu gross.
In den vergangenen Tagen hatte sich Biden nach einer Infektion mit dem Coronavirus in sein Privathaus in Rehoboth, Delaware zurückgezogen und keine öffentlichen Termine absolviert. Während seiner Zwangspause fasste er nun den Entschluss, sich dem Druck seiner Parteikollegen zu beugen.
Respekt für Biden
Führende Demokraten sowie Staats- und Regierungschef aus der ganzen Welt zollten Biden Respekt für den bedeutenden Schritt.
Der führende Demokrat im Senat, Chuck Schumer, würdigte Biden als grossartigen Präsidenten und bemerkenswerten Menschen. «Seine Entscheidung war gewiss nicht leicht, aber er hat wieder einmal sein Land, seine Partei und unsere Zukunft an die erste Stelle gesetzt», schrieb der Senator in einer Stellungnahme. Der heutige Tag zeige, dass Biden «ein wahrer Patriot und grosser Amerikaner» sei.
First Lady Jill Biden (73) kommentierte den Rückzug ihres Ehemannes mit zwei Herzen auf der Plattform X.
Ein Wahljahr wie keines zuvor
Schon vor dieser grösstmöglichen Komplikation war dieses US-Wahljahr eines, das auf allen Ebenen heraussticht, vor allem mit Blick auf den republikanischen Kandidaten. Mit Trump bewirbt sich ein verurteilter Straftäter um das höchste Amt im Staat. Als erster Ex-Präsident der USA wurde er in einem Strafverfahren schuldig gesprochen – wegen der Verschleierung einer Schweigegeldzahlung an eine Pornodarstellerin. Im Wahlkampf hat das dem 78-Jährigen bislang nicht geschadet. Es laufen noch andere Strafverfahren gegen ihn – allerdings dürfte es vor dem Wahltag in diesen Fällen nicht mehr zum Prozess kommen.
Zu einer Eskalation im Wahlkampf kam es vor gut einer Woche, als ein Schütze auf einer Veranstaltung Trumps in Pennsylvania das Feuer eröffnete. Trump wurde bei dem Attentat am Ohr verletzt, ein Zuschauer kam ums Leben, zwei weitere wurden verwundet.
Bereits das jüngste US-Wahljahr 2020 war chaotisch gewesen. Trump akzeptierte seine Wahlniederlage gegen Biden damals nicht, sondern versuchte mit drastischen Mitteln, den Wahlausgang umzukehren. Sein Feldzug gipfelte damals in einem gewaltsamen Angriff seiner Anhänger auf das US-Kapitol, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen.