Die Wahrheit liegt zwischen Rio und Tokio
Neun Olympiamedaillen sagt der bekannteste Prognoserechner der Schweiz in Paris voraus. Bei Swiss Olympic ist man etwas vorsichtiger, die Trauben hängen hoch, vieles ist schwer kalkulierbar.
In Zeiten der Diskussion um unethische Trainingsmethoden ist es nicht mehr statthaft, den Erfolg einer Olympiadelegation einzig vom Gewinn möglichst vieler Medaillen abhängig zu machen. Entsprechend scheut sich der nationale Verband Swiss Olympic davor, für Paris 2024 konkrete Angaben zu machen.
Medaillen und Diplome seien natürlich nach wie vor das Ziel, versicherte Delegationsleiter Ralph Stöckli bei der Präsentation des 128-köpfigen Schweizer Teams. Wichtig seien aber auch Auftreten und der Stolz, die Schweiz zu vertreten. Dennoch wird man natürlich in erster Linie am funkelnden Edelmetall gemessen.
Guerdats sechste Teilnahme
Der Erfahrenste im Schweizer ist der Reiter Steve Guerdat, der seit 2004 keine Sommerspiele verpasste. Der Einzel-Olympiasieger von 2012 und Bronze-Gewinner mit dem Team ist einer von elf Schweizer Medaillengewinnern in Paris. Nach zwei Austragungen ohne Podestplatz gehören die Reiter wieder zu den heissesten Anwärtern.
Fast schon Garanten für Erfolgserlebnisse sind die Mountainbiker. Ein Dreifach-Sieg wie vor drei Jahren bei den Frauen ist zwar nicht mehr möglich, da die Quotenplätze auf zwei pro Land gekürzt wurden. Nino Schurter, mit einem ganzen Medaillensatz im Palmarès der meistdekorierte Schweizer in Paris, und Mathias Flückiger bei den Männern sowie Alessandra Keller und Sina Frei, die für die angeschlagene Olympiasiegerin Jolanda Neff nachrückte, gehören aber auch heuer zu den Mitfavoriten.
Im Ruderbecken sind die Hoffnungen mit den Zweier ohne Roman Röösli/Andrin Gulich sowie dem Leichtgewichts-Doppelzweier Jan Schäuble/Raphaël Ahumada ebenfalls gross. Die Beachvolleyballerinnen Tanja Hüberli/Nina Brunner gehören ebenso zur Weltspitze wie Stefan Küng im Zeitfahren auf der Strasse. Zoé Claessens auf dem BMX-Rad, Nils Stump in der Judo-Klasse bis 73 kg oder Martin Dougoud im Kayak-Cross sind in der breiten Öffentlichkeit noch nicht sehr bekannt, stehen aber auf WM-Stufe regelmässig auf dem WM- oder EM-Podest.
Die Schützin Nina Christen ist nach ihren Gold- und Bronzemedaillen in Tokio wieder in Topform. Keine Sensation wäre eine Podestplatz in Marseille: Die Schweizer Segler warten seit 56 Jahren auf eine Medaille, nun scheint die Zeit reif dazu.
Im Vergleich herausragend
Kleinere Brötchen dürften für einmal die Tennisprofis backen. Zwar haben die beiden Schweizer Teilnehmer Stan Wawrinka (Gold im Doppel 2008) und Viktorija Golubic (Silber im Doppel vor drei Jahren) schon Edelmetall im Schrank, diesmal sind sie jedoch Einzelkämpfer und gehören nicht zu den Mitfavoriten. Seit 2008 gab es jedes Mal mindestens eine Medaille für Swiss Tennis, diesmal wäre eine solche eine grosse Überraschung.
Die bekannte Prognose-Plattform Gracenote rechnet mit neun Schweizer Medaillen, Ralph Stöckli will sich eher an Rio (sieben Medaillen, 18 Diplome) orientieren. In Tokio waren es deren 13, doch das war ein Ausreisser nach oben. Die Schweiz lag damit deutlich vor vergleichbaren Nationen wie Tschechien, Dänemark (beide 11), Schweden (9), Norwegen, Kroatien (beide 8), Belgien oder Österreich (beide 7).
«Als Faustregel gilt, dass man die Anzahl Medaillenchancen durch drei teilt», erinnert der ehemalige Spitzencurler. Er ist jedenfalls überzeugt, dass man gut vorbereitet ist, und freut sich darüber, dass es wieder Zuschauer haben wird.
Einige Delegationen wie die Schwimmer, Ruderer, Kanuten und Fechter reisen schon in den nächsten Tagen für Trainingslager nach Frankreich. Als erste Schweizer Sportlerin wird die Fechterin Pauline Brunner am 20. Juli im olympischen Dorf erwartet.