Angst und Vorfreude in Paris
Paris 2024 hätte für die olympische Bewegung die Rückkehr zur Normalität werden sollen. Nun ist die politische Lage in der Welt - und in Frankreich - alles andere als normal.
Schon zwei Monate vor der Eröffnung der Olympischen Spiele herrschte auf der Place de la Concorde, dem grössten Platz im Zentrum von Paris, Chaos. Die Haltestellen von zwei U-Bahn-Stationen waren bereits geschlossen, die Fussgänger und Autofahrer mussten darum herum. «Es ist mühsam, dass man hier nicht einmal mehr von einer Linie auf die andere umsteigen kann», klagt eine Frau.
Olympia dominiert in der Stadt, die schon in normalen Zeiten mehr ausländische Besucher empfängt als jede andere in der Welt, schon seit geraumer Zeit. Im Guten wie im Schlechten. Paris ist bereit, die Wettkampfstätten sind erstklassig, zum Teil sogar – wie auf der Place de la Concorde mit temporären Tribünen für 30’000 Zuschauer oder vor dem Eiffelturm – atemberaubend.
«Ich bin sehr zuversichtlich», sagt Ralph Stöckli, der Chef der Schweizer Olympiadelegation. «Frankreich hat viel Erfahrung in der Organisation von Grossanlässen.» Tatsächlich war zum Beispiel das Stade de France seit der Fertigstellung 1998 unter anderem schon Schauplatz von drei Champions-League-Finals, zwei Rugby-WM-Finals, je einem WM- und EM-Final sowie einer Leichtathletik-Weltmeisterschaft. Organisatorisch scheint alles bereit.
Krisen- statt Aufbruchstimmung
Unbestritten steht Paris allerdings noch immer vor gewaltigen Herausforderungen. Stand das letzte Treffen von Baron de Coubertins «Jugend der Welt» vor hundert Jahren im Zeichen des Aufschwungs und Optimismus nach dem Ersten Weltkrieg, herrscht nun eher Depression. Anfang 2022 bestand noch die Hoffnung, dass man zwei Jahre später zur Normalität zurückkehrt, erstmals seit Rio 2016 wieder Sommerspiele mit Zuschauern, ohne Corona-Einschränkungen. Diese werden tatsächlich wieder da sein, doch die weltpolitische Lage hat sich massiv eingetrübt. Manche Probleme sind hausgemacht, wie die üblichen Vorwürfe von Korruption und Vetternwirtschaft (im eher kleinen Rahmen) oder die Ausrufung von Wahlen nur wenige Wochen vor der Eröffnung, mehrheitlich sehen sich Frankreich und das IOC aber Herausforderungen gegenüber, die mehrheitlich ausserhalb ihrer Einflussnahme liegen.
Mehr als 45’000 Sicherheitsleute
Die grösste ist die Garantie der Sicherheit. 45’000 französische Polizisten und Sicherheitsleute sollen dafür sorgen, dazu ein paar tausend aus dem Ausland. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel im letzten Oktober und dessen Gegenangriffen ist die Terrorwarnung in Frankreich auf der höchsten Stufe. Die ehemalige Kolonialmacht war schon immer ein beliebtes Ziel für Terrorattacken, nun gilt dies erst recht.
Auch sonst wirft die Weltpolitik Schatten auf die Olympischen Spiele, auch wenn das IOC immer noch – und wenig überzeugend – den Standpunkt vertritt, dass der Sport damit nichts zu tun habe. Russland und Belarus werden nach dem Überfall auf die Ukraine nur mit einem Rumpfteam vertreten sein – und nur mit Einzelsportlern unter neutraler Flagge und nach eingehender Prüfung.
Wie aber garantieren die Organisatoren, dass es keine Übergriffe auf jüdische Sportler oder Besucher oder Proteste gegen deren Teilnahme gibt? Was passiert, wenn muslimische Sportler sich wie in der Vergangenheit vorgekommen, weigern, gegen Israelis anzutreten? Wie reagiert man, wenn Ukrainer gegen Russland demonstrieren oder Russen doch ein Z als Symbol der Unterstützung ihrer Armee tragen? Wie wappnet man sich gegen die erwarteten Cyberangriffe aus Russland? Es sind alles Faktoren, welche die Freude an den Spielen trüben könnten.
Spektakuläre Bilder
Viel spricht aber auch dafür, dass Stöckli Recht behalten wird. Paris wird spektakuläre Bilder liefern, nicht zuletzt mit der ambitioniertesten Eröffnungsfeier der Olympiageschichte. Auf 160 Booten sollen die Athleten auf einer 6 km langen Strecke die Seine runterschippern. Statt der Privilegierten in einem Stadion werden hunderttausende Zuschauer die Show mitverfolgen können, der grössere Teil davon gratis.
Die vorläufige Wetterprognose sieht für den Abend der Eröffnung am Freitag, 26. Juli, und auch für die Tage danach positiv aus. Es soll schön bleiben, eine extreme Hitze, wie zuletzt in Rio und Tokio, wird jedoch nicht erwartet. So herrscht eine gute Woche vor dem Beginn der Olympischen Spiele eine leicht nervöse Mischung aus Angst und Vorfreude.
Die einen werden froh sein, wenn auf der Place de la Concorde wieder Normalität herrscht, andere sind stolz auf das Grossereignis in der Heimat, viele werden Paris wie immer im Hochsommer sowieso verlassen und manche werden es in ein paar Jahren vielleicht schätzen, dass ein Teil der Infrastruktur – wie die Verlängerung der Métro-Linie 14 bis zum Flughafen Orly – verbessert wurde. Die Touristen werden der Stadt der Liebe so oder so treu bleiben – mit oder ohne Olympische Spiele.