Gareth Southgate und Luis de la Fuente trotzen den Kritikern
Gareth Southgate und Luis de la Fuente haben ihre Nationalteams trotz teils harscher Kritik in den EM-Final gecoacht.
Es ist eine Frage, die bei quasi jedem öffentlichen Auftritt von Gareth Southgate in den letzten Wochen in irgendeiner Form gestellt wird. Der englische Nationaltrainer hat gerade mit seinem Team Historisches geschafft und ist dank eines 2:1-Erfolgs gegen die Niederlande in den Final eingezogen, seinen zweiten an einer EM in Serie, der erste für die Three Lions ausserhalb des Vereinigten Königreichs.
Als der 53-Jährige auf dem Podium im Innern des Dortmunder Stadions Platz genommen hat, kommt sie also wieder, diese Frage, die nach jedem Weiterkommen der Engländer an diesem Turnier herumgeisterte: Wie sich so ein Erfolg denn anfühle, insbesondere nach der vielen Kritik in den letzten Wochen. Southgate atmet einmal ein und aus, fixiert den Fragestellenden mit seinen braunen Augen und sagt: «Wissen Sie, wir wollen doch alle geliebt werden. Wenn man etwas für sein Land tut und ein stolzer Engländer ist, ist es schwer, wenn man das nicht zurückbekommt und nur Kritik liest.»
Winterbottom, Ramsey, Southgate
Southgate hätte in diesem Moment prahlen können. Er hätte sagen können, dass er als Trainer etwas geschafft habe, was noch nie einem vor ihm gelang. Er hätte sagen können, dass er mit Cole Palmer und Ollie Watkins die beiden Protagonisten des späten Siegtreffers eingewechselt habe. Er hätte sagen können, dass die Kritiker, welche die vorsichtige Spielweise anprangerten, nun hoffentlich still sein würden.
Southgate geht nicht auf Konfrontation. Er zeigt aber eine Verletzlichkeit, die illustriert, wie viel er in seinen Job investiert. «Der einzige Grund, warum ich den Job angenommen habe, war der Versuch, England als Nation zum Erfolg zu führen und den englischen Fussball zu verbessern», sagt Southgate. Auch das ist ein Satz, den er an diesem Turnier schon öfters diktiert hat. Er betont immer wieder, dass es ihm um eine nachhaltige Entwicklung geht. Das bedingt auch, immer wieder neue Spieler zu integrieren. Rund die Hälfte des jetzigen EM-Kaders bestreitet in Deutschland ihr erstes grosses Turnier. «Ich bin sehr stolz darauf, was die Jungs bisher erreicht haben», sagt Southgate.
Der Final am Sonntag in Berlin (21 Uhr) wird sein 102 Spiel als englischer Nationaltrainer sein. Es ist ein Meilenstein. Nur Walter Winterbottom (139), der erste englische Nationaltrainer überhaupt, und Alf Ramsey (113), der Weltmeister-Coach von 1966, haben die Marke von 100 Spielen ebenfalls überschritten.
Vertragsverlängerung in Aussicht
Als Southgate England an seinem ersten Turnier, der WM 2018 in Russland, in die Halbfinals führte, war seine Weste, die er zu den Spielen trug, ein Verkaufsschlager, der zuhause rasch vergriffen war. Gut sechs Jahre später bewarfen ihn Fans nach dem 0:0 im letzten EM-Gruppenspiel gegen Slowenien in Köln mit Bierbechern.
Es sind Episoden, die zeigen, in welcher Welt der Extreme sich Southgate bewegt. Extreme, die ihn mehrmals überlegen liessen, ob er seinen Job niederlegen sollte. Doch nun stehen die Zeichen darauf, dass die englische FA die Zusammenarbeit bis nach der WM 2026 verlängern will. Egal, wie der Final ausgeht.
Zwei EM-Titel bei den Junioren
Luis de la Fuente ist gewissermassen Gareth Southgates Bruder im Geiste. Dem spanischen Nationaltrainer fliegen nämlich ob dem Finaleinzug seines Teams auch nicht primär Rosen entgegen. Der 63-Jährige hat die «Seleccion» nach der WM in Katar übernommen und im letzten Jahr zum Sieg in der Nations League geführt. Doch dies vermochte die Kritiker nicht verstummen lassen. Vielmehr musste sich de la Fuente immer wieder Zweifel an seinen Führungsqualitäten anhören, weil er primär im Juniorenbereich gearbeitet hat. «Ich bin ein Experte im Umgang mit Kritik», sagt er.
Die U19-Nachwuchsauswahl Spaniens coachte er 2015 zum EM-Titel, dasselbe gelang ihm 2019 mit der U21. Mit Rodri, Mikel Merino, Unai Simon, Fabian Ruiz und Dani Olmo waren auch Spieler des jetzigen EM-Kaders Teil dieser Erfolge und haben entsprechend schon eine lange Verbindung mit ihrem jetzigen Nationaltrainer. «Wir wussten, welche Rohdiamanten wir in dieser Mannschaft haben», sagt de la Fuente, der auch für seine Sympathien für den früheren Verbandspräsidenten Luis Rubiales in die Kritik geriet.
Er kann dies mit einer gewissen Genugtuung sagen, denn Fabian Ruiz, Marc Cucurella, Aymeric Laporte und Lamine Yamal, deren Berufung ins EM-Kader teils harsch kritisiert wurde, waren bisher wichtige Figuren auf dem Weg in den fünften EM-Final der Spanier. «Die Spieler sollten in den Medien und bei den Fans mehr Wertschätzung erhalten», sagt de la Fuente. Sich erwähnt er nicht. Geht er aber als vierter Europameister-Trainer in die Geschichtsbücher ein, dürften auch ihm ein paar Rosen zufliegen.