Spanien hat bisher am meisten überzeugt
An der EM in Deutschland steht mit den Viertelfinals die heisse Phase an. Wer ist der Topfavorit und welche Chancen darf sich die Schweiz ausrechnen? Keystone-SDA ordnet in einem Form-Ranking ein.
1. Spanien
Die Spanier sind das einzige Team, das an dieser EM alle Spiele gewinnen konnte. Doch nicht nur deswegen hat sich das Team von Trainer Luis de la Fuente zum Topfavoriten gemausert. Es ist die Art, wie die Mannschaft um Leitwolf und Chefstratege Rodri auftritt. Mal übernehmen sie das Spieldiktat, mal überlassen sie dem Gegner den Ball. Die «Furia Roja» strotzt nur so vor Selbstvertrauen. Selbst nach dem frühen Rückstand im Achtelfinal gegen Aussenseiter Georgien liessen sich die Spanier nicht aus dem Konzept bringen. Denn sie wussten: Verfolgen wir unseren Plan weiter, kann nichts schiefgehen. Schon während des ganzen Turniers überzeugt die junge Flügelzange Lamine Yamal (16) und Nico Williams (21) mit viel Tempo, Kreativität und Unbekümmertheit. Steigert sich die gegen Georgien nicht immer sattelfest wirkende Abwehr, dürfte Spanien von Gastgeber Deutschland im Viertelfinal nur schwer zu knacken sein.
2. Schweiz
Noch selten trat eine Schweizer Nationalmannschaft so souverän auf wie jene im Achtelfinal gegen Italien. Zu jedem Zeitpunkt der Partie in Berlin hatte die Mannschaft von Trainer Murat Yakin das Geschehen unter Kontrolle – mit Ausnahme eines Kopfballs von Fabian Schär an den eigenen Pfosten. Untypisch forsch für Schweizer Verhältnisse war auch das Auftreten nach dem Spiel. «Als wir sahen, dass sie mit einer Viererkette kommen, wussten wir: Die machen wir platt»: Aussagen wie jene von Murat Yakin wirken umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass sich der Nationalcoach vor nicht allzu langer Zeit heftiger Kritik ausgesetzt sah. Doch die Nati hat den Turnaround geschafft. Mit dieser Mannschaft und diesem Spirit scheint alles möglich. Auch ein Sieg im Viertelfinal gegen das grosse England.
3. Frankreich
Zwei Eigentore, ein torloses Unentschieden und ein verwandelter Penalty. Mit dieser mageren Ausbeute hat sich der WM-Finalist in den Viertelfinal gemogelt. Es war bislang ein enttäuschendes Turnier, das die Franzosen gespielt haben. Doch genau daraus schöpft die Équipe Tricolore Mut. Denn wie sagt man so schön: Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss. Selbstredend ist noch viel Luft nach oben im Team von Trainer Didier Deschamps, der trotz schwacher Auftritte erstaunlich ruhig bleibt – wohl in der Gewissheit, dass seine Spieler dann zur Höchstform auflaufen, wenn es darauf ankommt. Können die Franzosen ihr Potenzial im Viertelfinal gegen Portugal entfalten, steht dem Halbfinaleinzug nichts im Weg.
4. Deutschland
Der Gastgeber startete forsch in die Heim-EM, konnte die Pace aber nicht aufrechterhalten. Gegen die Schweiz sicherte sich das Team von Julian Nagelsmann erst in allerletzter Minute den Gruppensieg, im Achtelfinal gegen Dänemark geriet es nur um Haaresbreite respektive eine Zehenlänge nicht in Rückstand. Dennoch ist dieser deutschen Mannschaft alles zuzutrauen – im Guten wie im Schlechten. Wie weit die Euphorie eine Mannschaft tragen kann, zeigte sich 2006. Um ein zweites «Sommermärchen» zu erleben, bedarf es eines Sieges gegen Spanien. Entscheidend wird sein, ob die deutsche Defensive die flinken Offensivspieler der Iberer unter Kontrolle bringt. Ansonsten bedeutet der Viertelfinal Endstation für den Gastgeber.
5. Niederlande
Klammheimlich haben sich die Niederländer in den Viertelfinal gespielt. Die Vorrunde war alles andere als berauschend, im Achtelfinal bekundete das Team von Ronald Koeman mit dem Überraschungsteam Rumänien jedoch weniger Mühe als mit der eigenen Chancenauswertung. Und so stehen die Niederländer zum ersten Mal seit 2008 wieder unter den besten acht Mannschaften Europas. Im Viertelfinal treffen sie auf euphorisierte Türken. Bringt die Elftal ihr Potenzial auf den Rasen und kann das ganze Drumherum ausblenden, qualifiziert sie sich für den Halbfinal. Wer weiss, wo die Reise in der als schwächer eingestuften Tableau-Hälfte dann noch führen wird.
6. England
Als einer der Topfavoriten ins Turnier gestartet, überzeugten die Engländer lediglich in den ersten 15 Minuten des Startspiels gegen Serbien. Danach: gähnende Langeweile. Dies erstaunt umso mehr, als dass sich bei den Three Lions etliche Topstars im Team tummeln. Das Kader weist mit mehr als 1,5 Milliarden Euro den höchsten Marktwert aller teilnehmenden Nationen auf. Davon war jedoch auch im Achtelfinal gegen die Slowakei nichts zu sehen. Einzig einem Geniestreich von Jude Bellingham ist es zu verdanken, dass die Engländer noch im Turnier sind. Die Frage ist: Wann löst Trainer Gareth Southgate die taktischen Fesseln und lässt seinen Spielern mehr Freiraum? Denn es steht ausser Frage: Von der Qualität her hat England den Anspruch, in den Final einzuziehen.
7. Portugal
Bernardo Silva, Bruno Fernandes, Rafael Leão. Die Offensive der Portugiesen ist gespickt mit Weltklassespielern. Und doch scheinen sie nur Diener zu sein des omnipräsenten Cristiano Ronaldo. Fast schon penetrant versuchte der mittlerweile 39-Jährige im Achtelfinal gegen Slowenien, sich mit einem Tor ein weiteres Denkmal zu setzen und als ältester Torschütze in die Geschichtsbücher der Europameisterschaft einzugehen. Dass ihm dies weder bei seinen zahlreichen Freistössen aus bester Position noch aus elf Metern gelang, ist sinnbildlich. Auch wenn sich die Mitspieler hinter ihren Captain stellen, bleibt die Frage: Könnten sie sich besser entfalten, wenn sie nicht als Diener Ronaldos auf dem Platz stünden?
8. Türkei
Die Türkei stand in der durchaus machbaren Gruppe mit Portugal, Georgien und Tschechien kurz vor dem Ausscheiden. Gegen zehn Tschechen verspielte die Mannschaft von Trainer Vincenzo Montella eine Führung und kam nur mit Glück um einen weiteren Gegentreffer herum, der gleichbedeutend mit dem Ausscheiden gewesen wäre. Umso bemerkenswerter war der Auftritt im Achtelfinal gegen Österreich. Von den euphorisierten Fans getragen, vergoldeten die Türken den Blitzstart gegen den Geheimfavoriten und zogen etwas glücklich, aber nicht völlig unverdient, in die nächste Runde ein. Es winkt, wie schon 2008, der Halbfinal. In Berlin steht für die Türkei ein Heimspiel an. Ob die Stimmung im Olympiastadion die Türken noch einmal über sich hinauswachsen lässt?