Dominic Stricker hat die Verletzungspause gut genutzt
Ein halbes Jahr lang lag Dominic Stricker mit Rückenschmerzen flach - und das ohne klare Diagnose. Nun ist der 21-jährige Berner zurück und will in Wimbledon an die letztjährigen Erfolge anknüpfen.
Andere wären über die Frage eines Journalisten vielleicht etwas beleidigt: «Man hat das Gefühl, du bist so schlank wie noch nie. Stimmt das?» In seiner lockeren Art nimmt Dominic Stricker jedoch den Ball auf und bestätigt: «Ja, wir haben auch das Gefühl, das ist so.» Das sei ein bisschen der Benefit der langen Verletzungspause, erklärt der Juniorensieger des French Open 2020.
Rückblende: Im vergangenen Sommer startete der 21-Jährige aus Grosshöchstetten richtig durch. In Wimbledon erreichte er erstmals die 2. Runde eines Grand-Slam-Turniers, am US Open bezwang er mit Stefanos Tsitsipas seinen ersten Top-Ten-Spieler und stürmte bis in den Achtelfinal. An den Swiss Indoors folgte ein Sieg gegen die Weltnummer 8 Casper Ruud und ein Viertelfinal. Dann war – von aussen gesehen Knall auf Fall – Schluss. An den Next Gen Finals in Saudi-Arabien musste Stricker im Halbfinal aufgeben und ward bis Anfang Juni nicht mehr auf den Tennisplätzen der Welt gesehen.
Der Rücken schmerzte schon lange
Zunächst wollten er und sein Umfeld die gravierende Natur der Verletzung nicht recht wahrhaben. Immer wieder war von einem baldigen Comeback die Rede, das sich wieder zerschlug. Erst langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine lange Pause unvermeidlich war. Bei seiner Rückkehr nach Wimbledon, wo er am Dienstag in der 1. Runde auf den noch fast zwei Jahre jüngeren Franzosen Arthur Fils (ATP 34) trifft, spricht Stricker nun erstmals ausführlich über seine lange Leidenszeit.
«Die Schmerzen im Rücken waren schon vorher immer ein bisschen da», verrät er. «Aber es ist völlig aushaltbar gewesen und wirklich gut gegangen.» Dann aber wurde es im letzten Herbst von Match zu Match immer schlimmer, bis es nicht mehr ging. «Der ganze untere Rücken war betroffen, alles war entzündet und überlastet.» Am Ende half nur Zeit, um das Problem in den Griff zu bekommen.
Körper noch nicht bereit
Stricker bezahlte wohl den Preis für seinen Erfolg. Sein Körper war (noch) nicht bereit für so viele Spiele in relativ kurzer Zeit. Bis Wimbledon vor einem Jahr hatte er nie eine Partie über mehr als drei Sätze gespielt, dann innert knapp zwei Monaten gleich deren fünf. Sowohl in Wimbledon als auch am US Open hatte er bereits je drei Partien in der Qualifikation in den Beinen – und im Rücken. Dagegen rebellierte dieser heftig.
Am Bewegungsablauf hat Stricker nichts geändert, wie er er erklärt. Er arbeitete aber im Fitnessraum hart an der Kräftigung und Stabilisierung und legt beim Aufwärmen und nach den Matches mehr den Fokus auf den Rücken. «Im Moment bin ich absolut schmerzfrei», freut er sich. Und eben, fitter denn je.
Als Koch aufgeblüht
«Ich spüre, dass ich auf dem Platz leichtfüssiger bin, das ist schon cool», bestätigt Stricker. Das lange Nichtstun war schwierig, vor allem zu Beginn konnte er auch kaum andere Aktivitäten wie das geliebte Golfen ausüben. Dafür widmete er sich intensiver einer anderen Liebe, dem Kochen. Mit erfreulichen Folgen. «Da ich deutlich weniger Kalorien verbrauchte als sonst, haben wir noch mehr auf die Ernährung geachtet.»
Nun will der auf Position 149 abgerutschte Stricker wieder angreifen. In Sachen Weltranglisten-Klassierung fühlt er sich noch nicht allzu sehr unter Druck. In Wimbledon nimmt er erstmals sein geschütztes Ranking (94) in Anspruch, acht weitere hat er danach dank dem Verletztenstatus noch zu gute. Die Rückkehr auf die Tour gelang mit einem Sieg bei drei Challenger-Turnieren in England mässig, es fehlen noch die Automatismen. Sein erster Gegner Arthur Fils hat sich bei den Grand Slams allerdings noch nicht gross ausgezeichnet (2 mal 2. Runde) und letzten Sommer in Gstaad gewann Stricker das erste Duell.
Das «Duell» gegen seinen Coach Dieter Kindlmann und den Physiotherapeuten, beides Deutsche, steht noch unentschieden. «Ein Sieg der Schweiz und eine Niederlage Deutschlands», hatte sich der Berner für Samstagabend gewünscht. Die beiden Betreuer hatten ihm den Ausgleich der Deutschen im letzten Gruppenspiel gegen die Schweiz genüsslich unter die Nase gerieben. Nur zu gern hätte er nun selber das letzte Wort gehabt.