Kreml droht den USA nach ukrainischem Raketenangriff
Nach einem verheerenden Raketenangriff auf die Stadt Sewastopol auf der seit 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim will Moskau Washington zur Verantwortung ziehen.
«Es versteht sich, dass die unmittelbare Beteiligung der USA an Kampfhandlungen, in deren Ergebnis russische Zivilisten ums Leben kommen, nicht ohne Folgen bleiben kann», drohte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag Konsequenzen an. Das russische Aussenministerium bestellte zugleich die US-Botschafterin in Moskau, Lynne Tracy, ein und übergab ihr eine Protestnote.
Auslöser der scharfen Rhetorik war ein ukrainischer Raketenangriff am Sonntag um die Mittagszeit. Nach russischen Angaben feuerte Kiew dabei fünf Raketen vom US-Typ ATACMS ab. Zunächst hatte das Verteidigungsministerium in Moskau erklärt, vier Raketen abgeschossen und die fünfte zumindest mittels der eigenen Flugabwehr abgelenkt und über einem Strand zum Absturz gebracht zu haben.
Nach Bekanntwerden der hohen Opferzahlen aber änderte das Militär seine Darstellung. Demnach zielten die Ukrainer mit der Rakete genau dorthin, wo sie explodierte und bezweckten viele zivile Opfer.
Getroffen wurde ein Stadtstrand im Norden von Sewastopol, das seit 240 Jahren Standort der russischen Schwarzmeerflotte ist. Nach jüngsten Angaben wurden bei dem Angriff 4 Menschen getötet und mehr als 150 verletzt. Etwa 80 Verletzte sind immer noch im Krankenhaus. Rund 20 von ihnen sollen wegen der Schwere ihrer Verletzungen nach Moskau geflogen werden. Unter den Opfern sind auch viele Kinder.
Kremlsprecher Peskow sprach von einer «barbarischen Attacke». Moskau wisse ganz genau, wer dahinterstecke, sagte er. Kiew sei schuld, aber es seien nicht die Ukrainer, die solch technisch komplizierte Raketen steuerten. Vielmehr würden amerikanische Militärberater diese bedienen. Ähnlich argumentierte das russische Aussenministerium bei der Einbestellung der US-Botschafterin Tracy. Die USA trügen in gleicher Weise die Verantwortung wie die Ukraine, hiess es.
Die US-Regierung hatte im Herbst 2023 mit der Lieferung der von der Ukraine länger erbetenen ATACMS-Raketen begonnen. Zudem lockerten die USA das lange geltende inoffizielle Verbot eines Einsatzes ihrer Waffen gegen russisches Territorium. Für die Krim hat diese Neuerung allerdings keine Auswirkungen, da die von Russland kontrollierte Halbinsel völkerrechtlich zur Ukraine zählt. Kiew konnte daher schon vorher militärische Ziele dort mit westlichen Waffen bekämpfen.
Moskau nutzte die Berichte über die vielen zivilen Opfern, um seine Darstellung eines inhumanen Westens und einer angeblich faschistischen Führung in der Ukraine vor allem für die eigenen Bürger zu bekräftigen. Aus russischer Sicht wirkte da der Kommentar des Beraters im ukrainischen Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, wie eine Bestätigung: der Vertraute von Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete die Opfer pauschal als «zivile Besatzer» und die bei Touristen beliebte Krim als Militärbasis.
Die Ukraine beklagt seit langem, dass Russland seinen Angriffskrieg sehr stark auch über die Krim führt. Das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte wurde bei einem Raketenangriff im Herbst schon schwer beschädigt. Zudem befindet sich in unmittelbarer Nähe des Strands der Militärflugplatz Belbek, der auch in dem seit mehr als zwei Jahren währenden Angriffskrieg weiter genutzt wird. Nicht zuletzt deshalb nahm die Ukraine die Krim vor allem in den letzten Monaten selbst stark ins Visier. Selenskyj hat zudem erklärt, die Halbinsel von der russischen Besatzung befreien zu wollen.
Vor allem auf Objekte der Flugabwehr hat es Kiew mit seinen Angriffen abgesehen, wobei auch die Zerstörung zahlreicher anderer militärischer Objekte bekannt wurde. Moskau musste dank der neuen westlichen Waffen zuletzt zahlreiche Rückschläge einstecken. Auch deswegen dürfte nach Ansicht von Experten in Moskau das mediale Echo auf die vielen Opfer gross sein. Die Folgen der Kiewer Angriffe auf russisch kontrolliertes Gebiet stehen aber in keinem Verhältnis zu den hohen Opferzahlen und schweren Zerstörungen in der Ukraine.
Welche konkreten Folgen der Raketenangriff auf Sewastopol für die USA hat, sagte Peskow nicht. Das werde die Zeit zeigen, sagte er. Der 56-Jährige verwies auf Aussagen von Präsident Wladimir Putin während dessen Asienreise in der vergangenen Woche. Dort hatte der Kremlchef erneut damit gedroht, die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine seinerseits mit der Weitergabe von russischen Waffen und Technologien an Kräfte zu beantworten, die dem Westen feindlich gegenüberstünden.
Die Aussage traf Putin vor dem Hintergrund seiner Reise nach Nordkorea, wo Machthaber Kim Jong Un Atomwaffen entwickelt. Schon jetzt verdächtigen westliche Staaten Moskau, trotz Sanktionen Technologien an Pjöngjang weiterzureichen – im Tausch gegen Artilleriemunition und Raketen, die es für Zerstörungen in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine einsetzt.