Deutschland träumt von weiterem «Sommermärchen»
Die deutsche Nationalmannschaft feiert bei der Heim-EM einen Auftakt nach Mass. Das Team von Julian Nagelsmann tut jedoch gut daran, das 5:1 gegen biedere Schotten richtig einzuordnen.
«Völlig losgelöst» dröhnte am Freitagabend kurz vor 23 Uhr über die Lautsprecher im Stadion in München. Die deutschen Zuschauer stimmten mit ein, euphorisiert von dem, was ihre Mannschaft zuvor auf dem Platz gezeigt hatte. 5:1 fertigte der Gastgeber bemitleidenswerte Schotten ab. Bereits nach 20 Minuten und Toren von Florian Wirtz und Jamal Musiala war die Partie entschieden.
Die Jungspunde, beide erst 21 Jahre alt, standen am Freitagabend sinnbildlich für das neue deutsche Selbstverständnis. Unbekümmert wie in ihren Klubs sollten sie agieren, forderte Bundestrainer Julian Nagelsmann vor der Partie. Unbekümmert traten sie denn auch auf. Leverkusens Wirtz mit geschickten Laufwegen und dem ihm attestierten Gefühl für den Raum, Bayerns Musiala mit unwiderstehlichen Körpertäuschungen und viel Zug zum Tor.
«Wir müssen noch viele weitere Spiele gewinnen»
«Ich glaube, es macht wenig Sinn, jetzt zu viel zu bremsen, sondern wir müssen das gut einordnen», sagte Nagelsmann nach der Partie. Er stand nicht auf die Euphoriebremse, hob aber den Mahnfinger. «Wir wissen, dass wir ein Spiel gewonnen haben. Aber wir müssen noch viele weitere gewinnen, wenn wir unser Ziel erreichen wollen.»
Nagelsmann hatte vor der EM einen radikalen Umbruch vorgenommen, gestandene Spieler wie Mats Hummels oder Leon Goretzka nicht mit an die Endrunde genommen und sich für den verletzungsanfälligen Manuel Neuer als Nummer 1 im Tor entschieden. Den wichtigsten Entscheid fällte er jedoch, als er sich dazu entschloss, den bereits zurückgetretenen Toni Kroos wieder in die Nationalelf zu berufen.
Gegen Schottland war Kroos der Taktgeber im Mittelfeld, ordnete mit seinen klugen Pässen das Spiel der Deutschen und gab mit seiner Ruhe am Ball den Mitspielern die nötige Sicherheit, um zu glänzen. Kroos ist das Metronom, der stille Anführer, der das Team allein schon durch seine Präsenz besser macht.
«Ich glaube, wir haben das, was wir uns vorgenommen haben, gemacht. Wir haben Schottland nie ins Spiel kommen lassen und souverän gewonnen», sagte der 34-jährige Kroos, der nach der EM seine Karriere beendet.
Erinnerungen an 2006
Weggewischt sind mit dem deutlichen Auftaktsieg alle Bedenken, die nach den teils desaströsen Auftritten seit dem WM-Titel 2014 zurecht geherrscht hatten. Das 5:1 erinnerte in Teilen an das WM-Eröffnungsspiel von 2006, als Deutschland vor dem Turnier ebenfalls am Scheideweg stand, schliesslich 4:2 gegen Costa Rica gewann und so eine Euphorie entfachte, welche die Mannschaft durch das Turnier und bis in den Halbfinal trug.
Genau dies erhoffen sich die deutsche Mannschaft und ihre Anhänger. Doch wie im Spiel ordnet Toni Kroos richtig ein: «Ob man nach einem Spiel schon im Flow ist, weiss ich nicht. Aber wenn wir das rüber tragen ins nächste Spiel, was definitiv schwerer wird, dann können wir von Flow sprechen.»