Vier Geiseln gerettet – Viele Tote im Gazastreifen
Israelische Spezialkräfte haben am Samstag nach Armeeangaben vier Geiseln im Zentrum des Gazastreifen gerettet. Die am 7. Oktober vom Nova-Musikfestival Entführten seien bei zwei Einsätzen im Flüchtlingsviertel Nuseirat befreit worden, teilte die Armee mit. Es handelt sich demnach um eine 25 Jahre alte Frau und drei Männer im Alter von 21, 27 und 40 Jahren.
Im Zuge der israelischen Befreiungsaktion sind nach Angaben des palästinensischen Direktors des Al-Aksa-Krankenhauses mindestens 94 Menschen getötet und weitere 200 verletzt worden. Die Angaben liessen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Armee sagte auf Anfrage, sie prüfe die Berichte.
Das von der Hamas kontrollierte Medienbüro sprach von «einem beispiellosen, brutalen Angriff auf das Flüchtlingslager Nuseirat». Das Al-Aksa-Krankenhaus befinde sich in einer katastrophalen Lage. Berichten zufolge gab es heftige Luftangriffe und Artilleriebeschuss in der Gegend. Auf Aufnahmen, die Szenen aus dem behandelnden Krankenhaus zeigen sollen, sind blutüberströmte Opfer, Tote und verletzte Kinder zu sehen. Berichten zufolge soll in der Al-Aksa-Klinik in Deir al-Balah völliges Chaos ausgebrochen sein.
Nach der Befreiung der vier Geiseln sagte Militärsprecher Daniel Hagari: «Sie leben. Es geht ihnen gut.» Sie würden medizinisch untersucht und im Krankenhaus mit ihren Familien wieder vereint. Medien zeigten bereits das glückliche Wiedersehen einer 25 Jahre alten Frau mit ihren Angehörigen.
Die Geiseln wurden der Armee zufolge nach 246 Tagen Gefangenschaft aus zwei verschiedenen Gebäuden in einer «komplexen, hochriskanten Mission» aus dem Gazastreifen gerettet, sagte Armeesprecher Hagari. Die Spezialkräfte, die sich den Angaben nach wochenlang auf den Einsatz vorbereiteten, hätten dabei unter Beschuss gestanden.
Israelischen Polizeiangaben zufolge wurde bei dem Einsatz in Nuseirat auch ein hochrangiger Beamter getötet.
Der Auslandschef der islamistischen Hamas, Ismail Hanija, bezeichnete Israels jüngste Einsätze in Gaza als «Massaker» an den Palästinensern. «Der Feind setzt sein Massaker gegen unser Volk, unsere Kinder und Frauen, in Nuseirat und Deir al-Balah fort», teilte Hanija am Samstag mit. Israel habe «militärisch, politisch und moralisch versagt». Es blieb unklar, ob Hanija sich direkt auf die Nachricht über die Befreiung der vier Geiseln aus Gewalt der Hamas bezog. Direkt erwähnte er diese in seiner Mitteilung nicht.
Das Schicksal der nun befreiten Frau, die von Terroristen auf einem Motorrad entführt wurde und dabei verzweifelt weinend um Hilfe rief, bewegt Israel schon seit langem. Ihre Mutter leidet an Krebs im Endstadium. Die Frau hatte immer wieder darum gebeten, ihre Tochter vor ihrem Tod noch einmal sehen zu dürfen. Dieser Wunsch dürfte jetzt erfüllt werden. Medien zufolge fiel der Tag der Befreiung zudem auf den Geburtstag des Vaters.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu rief die 25-Jährige nach Angaben seines Büros am Samstag an. Sie freue sich, nach so langer Zeit wieder auf Hebräisch zu sprechen, sagte die Israelin Medien zufolge in dem Gespräch. Der ebenfalls entführte Freund der Studentin befindet sich nach Angaben des Forums der Geiselfamilien noch immer in Gewalt der Hamas.
Ein 27-Jähriger, der am Samstag befreit wurde, hatte am 7. Oktober Medien zufolge seiner Freundin geschrieben, er sei von Terroristen umzingelt, die Raketen auf ihn und andere Betroffene feuerten. Berichten zufolge war er vor anderthalb Jahren nach Israel eingewandert.
Am Strand der Küstenmetropole brachen nach einer Durchsage eines Rettungsschwimmers über die Rettungsaktion einem Medienbericht zufolge spontaner Jubel und Applaus aus.
«Wir sind überglücklich, euch zu Hause zu haben», sagte Israels Verteidigungsminister Joav Galant nach Angaben seines Büros. Er sprach von einer «heldenhaften Operation».
Israels Staatspräsident Izchak Herzog dankte den israelischen Einsatzkräften für die «beeindruckende und mutige Rettungsaktion». Er rief auch bei der befreiten jungen Frau an. Auf der Plattform X, ehemals Twitter, veröffentlichte er eine Aufnahme der strahlenden Frau während des kurzen Gesprächs. Sie sei sehr glücklich, hier zu sein, sagte sie darin.
Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, teilte nach der Rettung der Geiseln Medien zufolge mit, sein «Herz sei erfüllt». Zugleich sagte er eine für den Abend geplante Ansprache ab. Es wurde erwartet, dass er dabei den Austritt seiner Partei aus der Regierung bekanntgeben wollte.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Befreiung als «wichtiges Zeichen der Hoffnung». Dies gelte «besonders für die vielen Familien in Israel, die nach wie vor um ihre Angehörigen bangen», schrieb Scholz am Samstag auf der Plattform X. «Vier Geiseln sind nun in Freiheit. Die Hamas muss endlich alle Geiseln freilassen. Der Krieg muss enden.»
Bei dem beispiellosen Massaker am 7. Oktober ermordeten Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen mehr als 1200 Menschen. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive.
Dabei wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bislang 36 801 Menschen getötet und weitere 83 680 verletzt. Diese Angaben, die nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden, lassen sich derzeit nicht unabhängig verifizieren. Israels Armee steht wegen ihres Vorgehens im Gazastreifen international stark in der Kritik.
Militärsprecher Hagari zufolge befinden sich noch 120 Geiseln der insgesamt mehr als 250 aus Israel verschleppten Menschen im Gazastreifen. Es wird befürchtet, dass ein Grossteil von ihnen nicht mehr am Leben ist.