Unterschiedliche Gefühlslage bei Annik Kälin und Ehammer in Götzis
Die Ansage der Schweizer Mehrkampf-Asse für Götzis stimmte nicht: Bei Simon Ehammer kippt die Rekordlaune in Frust, Annik Kälin hingegen beseitigt ihre Zweifel mit einem Weltklasse-Resultat.
Es dauerte einige Zeit, bis Ehammer wieder auftauchte. Der Appenzeller hatte sich ins Physio-Zelt verkrochen, während seine Zehnkampf-Kollegen die harten zwei Tage mit dem 1500-m-Lauf abschlossen. Er hatte zunächst mit Tränen verarbeiten müssen, was ihm widerfahren war.
«Ich selber habe so etwas noch nie erlebt», sagte er anschliessend gefasst. «Ich bin in eine Spirale der Enttäuschung hineingeraten.» Der Strudel habe ihn nach unten gezogen, er sei nicht mehr raus gekommen. «Vor zwei Jahren habe ich hier aus Freude über meinen 8,45-m-Sprung gejuchzt und geweint. Die Energie, die dir so etwas gibt, hat es mir hier nun im Speerwurf endgültig genommen.»
Drei Dämpfer in Serie
Ehammer hatte zu Beginn des zweiten Tages seine Ambitionen mit starken 13,55 Sekunden über 110 m Hürden angemeldet: Der Schweizer Rekord (8468) als Minimum, 8600 Punkte als Richtwert, mit Platz nach oben zum Träumen. Als dies war dem Erfolgsverwöhnten und scheinbar Unerschütterlichen zuzutrauen. Doch anstelle des Flows setzte der Frust ein: 37,36 m mit dem Diskus, obwohl er beim Einwerfen die 40-m-Marke mehrmals übertraf. Bloss 5,00 m im Stabhochsprung, obwohl er 5,20 m drauf hätte. Und dann ein kraftloser Auftritt mit dem Speer. 55 m setzte er sich zum Ziel, 48,57 m wurden es.
«Körperlich hätte in den 1500er laufen können, aber mental wäre ich gescheitert. Ich sass da, habe immer wieder geweint, wusste nicht wieso», schilderte er die Ausgangslage vor dem Abbruch. «In dieser Verfassung kannst Du nicht kämpfen, wenn die Beine zu schmerzen beginnen. Ich hätte eine weitere Enttäuschung kassiert.»
Ehammer muss nun zunächst verdauen, was ihm widerfahren ist. Der Hallen-Weltmeister weiss, dass seine Form sehr gut ist. In der Schnelligkeit hat er nochmals zugelegt – der 100-m-Lauf, der Weitsprung, der Hürdensprint klappten hervorragend. Aber die ansprechenden Trainingsresultate in seinen Problem-Disziplinen kriegte er im Wettkampf nicht hin.
Das Knie hält
Am anderen Ende der Gefühlsskala befand sich Annik Kälin. «Es ist optimal gelaufen», zog die Frau aus Landquart Fazit. Die Physiotherapeutin hatte noch gehadert, ob sie überhaupt in Götzis starten soll. Im Hochsprung machen ihr Kniebeschwerden das Leben schwer, eine Verschlimmerung der Situation zu Beginn der Olympiasaison wäre fatal.
Doch die Reise in den Vorarlberg lohnte sich. Mit 6506 Punkten und Platz 2 fiel das Resultat um über 300 Zähler besser aus als erwartet. «Und die Kniebeschwerden sind nicht schlimmer geworden. Das zeigt, dass ich das Knie im Griff habe. Das motiviert», betonte die 24-Jährige. Ein Doppelstart an der EM in Rom mit Siebenkampf und Weitsprung sei demnach möglich.
Die Jahrgängerin von Ehammer ist von ihrer Punktzahl begeistert, zumal sie sich im Hochsprung bewusst zurückgenommen hatte. «Ich bin in keiner Disziplin hoch hinausgeschossen, sondern habe es mit der Konstanz gemacht», analysierte sie. Es bestehe noch Luft nach oben.