Netanjahu: «Der Krieg wütet weiter» – Nacht im Überblick
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat zum Unabhängigkeitstag seines Landes Entschlossenheit im Krieg gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen betont. «Der Krieg wütet weiter», sagte er am Montagabend in einer Videoansprache. Die Armee lieferte sich an dem Tag erneut vom Norden bis in den Süden heftige Kämpfe. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurde unterdessen erstmals ein internationaler UN-Mitarbeiter im Gazastreifen getötet. Er sei bei einem Angriff auf sein Fahrzeug auf dem Weg zu einem Krankenhaus im abgeriegelten Küstenstreifen ums Leben gekommen, sagte ein Sprecher am Montag. Ein weiterer Mitarbeiter sei verletzt worden. Hintergründe des Vorfalls wie auch die Nationalität der Opfer blieben zunächst unklar. Die US-Regierung nahm die israelische Führung derweil vor Anschuldigungen in Schutz, sie begehe im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen einen Völkermord an Palästinensern.
Familien der Geiseln: Unsere Hoffnung ist noch nicht verloren
Währenddessen erinnerten am Vorabend des Unabhängigkeitstages bei einer Kundgebung in Tel Aviv nach Angaben der Veranstalter rund 100 000 Menschen an das Schicksal der 132 Geiseln im Gazastreifen. Die Kundgebung stand unter dem Motto «Unsere Hoffnung ist noch nicht verloren». Dabei gab es auch Proteste gegen Netanjahu und seine Regierung. Vor dem Hintergrund der festgefahrenen Verhandlungen über die Freilassung der in Gaza festgehaltenen Geiseln und eine Waffenruhe sagte ein Redner der Kundgebung am Abend: «Die Regierung, die sie mit höchster Wachsamkeit schützen sollte, hat kein Recht, über den Preis für ihre Rückkehr zu sprechen. (…) Es gibt keinen Preis für das Leben der Geiseln.»
Bericht: Vermittler wollen Verhandlungen über Waffenruhe fortsetzen
Die arabischen Vermittler hoffen derweil, die Kluft zwischen den beiden Konfliktparteien zu verringern, wie das «Wall Street Journal» unter Berufung auf ägyptische Beamte berichtete. Sie erwarteten, dass sie diese Woche in Doha, der Hauptstadt von Katar, erneut zu Gesprächen zusammenkommen, wie es hiess. Eine Verhandlungsrunde in der ägyptischen Hauptstadt Kairo war vor Kurzem ergebnislos verlaufen. Da Israel und die Hamas nicht direkt miteinander verhandeln, fungieren Ägypten, Katar und die USA als Vermittler. Derweil weitete die israelische Armee ihre Angriffe im Gazastreifen wieder auf Gebiete aus, in denen das Militär schon zuvor im Einsatz gewesen war. So lieferte sie sich am Montag an verschiedenen Orten im Norden, im Zentrum und im Süden des abgeriegelten Küstengebiets erneut heftige Gefechte, darunter auch in der an Ägypten grenzenden Stadt Rafah.
UN: Fast 360 000 Menschen bereits aus Rafah geflohen
Seit dem Vorrücken der Armee in Rafah sind nach UN-Angaben fast 360 000 Menschen aus der mit Binnenflüchtlingen überfüllten Stadt geflohen. Israel übt militärischen Druck auf die Hamas in Rafah aus, um die Freilassung der Geiseln zu erreichen und vier Bataillone der Islamistenorganisation zu zerschlagen. «Wir sind kurz davor, die verbleibenden Hamas-Bataillone zu zerstören», sagte Netanjahu in einem am Sonntag aufgezeichneten Podcast. US-Aussenminister Antony Blinken bekräftigte nach Angaben eines Sprechers, die USA seien nach wie vor gegen eine grosse Bodenoffensive in Rafah, wo bis vergangene Woche mehr als eine Million Menschen Schutz vor den Kämpfen im übrigen Gazastreifen gesucht hatten.
Auslöser des Kriegs war das Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübten. Sie töteten 1200 Menschen, nahmen 250 weitere als Geiseln und verschleppten sie nach Gaza. Im folgenden Krieg wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 35 000 Palästinenser getötet, wobei die unabhängig kaum zu verifizierende Zahl nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheidet. Die hohe Zahl ziviler Opfer und die humanitäre Katastrophe für die palästinensische Zivilbevölkerung lösten international scharfe Kritik am Vorgehen Israels aus.
US-Regierung: Israel begeht keinen Völkermord
«Wir glauben nicht, dass das, was in Gaza geschieht, ein Genozid ist», sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Montag in Washington. «Wir haben diese Behauptung stets entschieden zurückgewiesen.» Sullivan sagte, die USA hätten ihren Standpunkt zu dieser Frage auch vor dem Internationalen Gerichtshof schriftlich und detailliert dargelegt. Er betonte zugleich: «Wir glauben, dass Israel mehr tun kann und muss, um den Schutz und das Wohlergehen unschuldiger Zivilisten zu gewährleisten.»
Israels Generalstabschef Herzi Halevi soll zuvor Medienberichten zufolge beklagt haben, dass die Armee mangels einer politischen Strategie für die Zeit nach dem Krieg immer wieder auch an Orten in Gaza kämpfen müsse, aus denen sie sich bereits zurückgezogen hatte. Israel sei auf dem besten Weg, einen Aufstand mit vielen bewaffneten Hamas-Kämpfern zu erben, sagte US-Aussenminister Blinken am Sonntag im US-Fernsehen. Es drohe ein Vakuum, das von Chaos, Anarchie und wahrscheinlich von der Hamas wieder aufgefüllt werde.
Netanjahu: Israel im Kampf um seine Existenz
Netanjahu bezeichnete den Krieg am Montag bei der zentralen Zeremonie zum Soldatengedenktag als Kampf um die Existenz seines Landes. Am Abend sagte er anlässlich des Unabhängigkeitstages seines Landes in seiner Videoansprache: «Obwohl es sich nicht um einen regulären Unabhängigkeitstag handelt, ist dies für uns eine besondere Gelegenheit, uns der Bedeutung unserer Unabhängigkeit bewusst zu werden». Unabhängigkeit, «uns aus eigener Kraft zu verteidigen», sagte er. Der Ausgang des Kriegs wird nach Einschätzung seines Verteidigungsministers Joav Galant das Leben der Israelis in den kommenden Jahrzehnten bestimmen. «Dies ist ein Krieg ohne Alternative», sagte Galant.
«Dies ist ein Krieg, der weitergehen wird, bis wir unsere Geiseln zurückbringen, die Herrschaft der Hamas und ihre militärischen Fähigkeiten zerschlagen und dem Staat Israel sein Gedeihen und Schaffen und seinen Bürgern das Lächeln auf ihren Gesichtern zurückgeben», sagte der Verteidigungsminister. Bei der Kundgebung in Tel Aviv am Vorabend des Unabhängigkeitstages warf ein Redner der Regierung Versagen vor, den Terrorangriff am 7. Oktober nicht verhindert zu haben. «Wir sind von einer geeinten Gemeinschaft zu einer zerbrochenen und trauernden geworden», sagte eine im Zuge eines Austauschs gegen palästinensische Häftlinge freigekommene Geisel laut der Organisatoren der Kundgebung.