Papst fordert Verhandlungen in Ukraine-Krieg
Papst Franziskus hat nach mehr als zwei Jahren Krieg in der Ukraine zu Verhandlungen aufgerufen. «Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln», sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche in einem am Wochenende vorab veröffentlichen Interview des Schweizer Fernsehens. Ohne eine der beiden Konfliktparteien Russland oder Ukraine direkt beim Namen zu nennen, fügte er hinzu: «Schämen Sie sich nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird.» An anderer Stelle in dem Interview sagte er: «Verhandlungen sind niemals eine Kapitulation.»
Der Pontifex verwies auf Vermittlungsangebote verschiedener Seiten, beispielsweise der Türkei. Auch der Vatikan selbst versucht praktisch seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf das Nachbarland im Februar 2022, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln – bislang ohne Erfolg. Papst-Sprecher Matteo Bruni widersprach Darstellungen, der Papst habe die Ukraine in dem Interview zur Kapitulation aufgefordert. Das Gespräch wurde nach Angaben des öffentlich-rechtlichen Senders RSI bereits Anfang Februar geführt.
Darin wird Franziskus auch nach Forderungen aus der Ukraine nach «Mut zur Kapitulation, zur weissen Fahne» gefragt, was andere als Legitimation der stärkeren Seite sähen. Darauf antwortet der Papst allgemein: «Das ist eine Frage der Sichtweise. Aber ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weissen Fahne hat, zu verhandeln.»
An anderer Stelle geht es in dem Interview auch um eine mögliche Vermittlung des Vatikans im Gaza-Krieg, der seit Oktober vergangenen Jahres dauert. Dazu sagte das Oberhaupt von mehr als 1,4 Milliarden Katholiken, er stehe zur Verfügung: «Ich habe einen Brief an die Juden Israels geschrieben, um über diese Situation nachzudenken. Verhandlungen sind niemals eine Kapitulation. Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu treiben.» Er fügt hinzu: «Einen Krieg führt man zu zweit, nicht allein. Die Unverantwortlichen sind die beiden, die ihn führen.»
In der Ukraine wurde der Begriff der «weissen Fahne», den der Papst gebrauchte, als Aufforderung zur Kapitulation verstanden und löste erboste Reaktionen aus. «Es erscheint merkwürdig, dass der Papst nicht zur Verteidigung der Ukraine aufruft, nicht Russland als Aggressor verurteilt, der Zehntausende Menschen tötet», schrieb der frühere Abgeordnete und Vizeinnenminister Anton Heraschtschenko im Netzwerk X (früher Twitter).
Der ehemalige ukrainische Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, nannte den Papst mit einem Bibelwort einen «Kleingläubigen». Offizielle Kiewer Stellen äusserten sich nicht. Die Ukraine lehnt Verhandlungen ab, solange Russland die besetzten Gebiete nicht wieder freigibt. Schon aus früheren Papstäusserungen haben die Ukrainer das Gefühl, dass Franziskus mehr Verständnis für Russland aufbringt als für ihr angegriffenes Land.