Israel bleibt im Gaza-Krieg unnachgiebig
Während Israels Militär im Gazastreifen weiter massiv gegen die Hamas vorgeht und die Kontrolle über das Küstengebiet dauerhaft ausbauen will, müssen die Angehörigen der Geiseln in der Gewalt der Islamisten weiter um ihr Leben bangen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigte am Dienstag die Entschlossenheit seiner Regierung, sich bei der Kriegsführung von Kritik nicht beirren zu lassen. «Es gibt im Inland wie im Ausland beträchtlichen Druck auf Israel, den Krieg zu beenden, bevor wir alle seine Ziele erreicht haben», sagte Netanjahu wenige Stunden, nachdem im UN-Sicherheitsrat ein Veto der USA einen Resolutionsentwurf mit der Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe verhindert hatte. Derweil sorgte Israels rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich laut der Zeitung «Times of Israel» am selben Tag für einen Aufschrei bei Angehörigen der Geiseln, weil er gesagt haben soll, die Rückkehr der Verschleppten sei im Moment «nicht das Wichtigste». Israels Regierung müsse sich in erster Linie auf die Zerstörung der Hamas konzentrieren.
Netanjahu: Lassen uns durch Druck nicht aufhalten
«Wir sind nicht bereit, (für die Geiseln) jeden Preis zu bezahlen, und bestimmt nicht den wahnhaften Preis, den uns die Hamas abverlangen möchte», sagte Netanjahu bei einem Truppenbesuch in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen. Der bewaffnete Kampf gegen die Hamas werde weitergehen, bis alle Geiseln freigelassen seien und Gaza für Israel nie mehr eine Bedrohung darstelle. «Kein Druck kann daran etwas ändern», sagte Netanjahu.
Die USA hatten ihr Veto im UN-Sicherheitsrat gegen eine sofortige Waffenruhe damit begründet, die laufenden Verhandlungen über eine befristete Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln nicht unterlaufen zu wollen. Die indirekten Gespräche unter der Vermittlung Ägyptens, Katars und der USA kamen zuletzt nicht vom Fleck, werden aber fortgeführt.
Proteste in Israel nach Äusserungen von rechtsextremem Minister
Israels Finanzminister Smotrich antwortete unterdessen laut der «Times of Israel» in einem Interview des israelischen Senders Kan auf die Frage, ob die Rückführung der 134 Geiseln, die seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober im Gazastreifen festgehalten werden, seiner Meinung nach das wichtigste Ziel sei: «Nein. Es ist nicht das Wichtigste.» Das Hauptaugenmerk müsse auf der Vernichtung der Hamas liegen, zitierte die Zeitung den Minister weiter. Seine Äusserungen lösten der Zeitung zufolge am Dienstag wütende Proteste aus. Angehörige der Geiseln, die vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv eine Mahnwache abhielten, blockierten demnach aus Empörung mehrere Hauptstrassen. Wer meine, die Geiseln seien nicht wichtig, soll seine eigenen Kinder als Geiseln nehmen lassen, «dann könnt ihr reden», zitierte das Blatt einen Mann, dessen Tochter in der Gewalt der Hamas ist.
Bericht: Invasion in Rafah vor Ramadan unwahrscheinlich
Unterdessen bereitet sich Israels Armee in Rafah auf eine Invasion vor, um nach eigenen Angaben die verbliebenen Hamas-Bataillone zu zerschlagen und dort vermutete Geiseln zu befreien. Die Regierung hat aber noch keinen Einsatzbefehl erteilt. Ein militärisches Vorgehen in der südlichsten Stadt des Gazastreifens an der Grenze zu Ägypten ist höchst umstritten, weil sich dort auf engstem Raum rund 1,5 Millionen Palästinenser drängen, von denen die meisten bereits vor den Kämpfen in anderen Teilen des Küstengebiets geflohen waren. Hilfsorganisationen weisen auf eine katastrophale humanitäre Lage hin. Dass Israel die Offensive noch vor dem muslimischen Fastenmonat Ramadan einläutet, der um den 10. März beginnt, ist der «Times of Israel» zufolge aus US-Sicht höchst unwahrscheinlich.
Wie die Zeitung am Dienstagabend berichtete, ist Israels Armee noch dabei, die Einsätze in der seit Wochen heftig umkämpften Stadt Chan Junis nördlich von Rafah abzuschliessen. Zugleich ist geplant, die Zivilbevölkerung in Rafah in Sicherheit zu bringen. Die Umsetzung eines solchen Plans samt Mechanismen zur Unterstützung der Menschen nach Unterbringung an anderen Orten nehme Wochen in Anspruch, zitierte die Zeitung einen namentlich nicht genannten ranghohen US-Beamten. Laut einem israelischen Beamten plane die Armee, die Zivilisten in einem nördlich gelegenen Gebiet zwischen Chan Junis und dem Flussbett Wadi Gaza, das Nord- und Süd-Gaza voneinander trennt, unterzubringen.
«Wall Street Journal»: Israel baut Strasse zur Kontrolle des Gazastreifens aus
Die israelische Armee baut derweil einem Bericht der US-Zeitung «Wall Street Journal» zufolge eine Strasse quer durch den Gazastreifen aus, um die Sicherheitskontrolle über das palästinensische Küstengebiet auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten. Die Schotterstrasse teilt den abgeriegelten Küstenstreifen südlich der Stadt Gaza von der israelischen Grenze bis zur Mittelmeerküste entlang eines Ost-West-Korridors, der seit Beginn des Krieges vor gut vier Monaten von israelischen Truppen besetzt ist. Der Ausbau der Strasse sei Teil der israelischen Bemühungen, die Topografie des Gazastreifens neu zu gestalten, berichtete die Zeitung am Dienstag unter Berufung auf nicht namentlich genannte Verteidigungsbeamte.
Dadurch könne sich das Militär auch nach dem Abzug der meisten Truppen weiterhin auf einer sicheren Route schnell durch das Küstengebiet bewegen. Israel kontrolliert bereits wichtige Nord-Süd-Strassen in Gaza. Der Ausbau der Strasse zeige, wie sich die israelische Armee auf die nächste Phase des Krieges vorbereite, in der sie plane, sich aus bewohnten Gebieten zurückzuziehen und auf gezielte Angriffe gegen die Hamas zu konzentrieren. Die Ost-West-Route solle so lange genutzt und patrouilliert werden, bis Israels Militäreinsätze abgeschlossen seien. Dies könne noch Monate oder sogar Jahre dauern, hiess es.
Hilfsorganisation wirft Israels Armee Angriff auf Notunterkunft vor
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtete unterdessen, die israelischen Streitkräfte hätten in der Nacht zum Mittwoch bei einem Einsatz in der Ortschaft Al Mawasi im Raum Chan Junis eine Notunterkunft beschossen, in der Mitarbeiter der Organisation und ihre Familien untergebracht seien. Mindestens zwei Familienmitglieder von Mitarbeitern seien getötet und sechs Menschen verletzt worden, schrieb die Organisation auf der Plattform X (vormals Twitter). Israels Armee erklärte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, die Angaben überprüfen zu wollen.
Auslöser des Gaza-Kriegs war das Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zu Gaza verübt hatten. Auf israelischer Seite wurden dabei mehr als 1200 Menschen getötet und weitere 250 als Geiseln verschleppt. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Wegen der vielen zivilen Opfer und den massiven Zerstörungen steht Israel international stark in der Kritik. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind in dem Krieg bislang 29 195 Palästinenser getötet worden. Die Angaben, bei denen nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterschieden wird, sind unabhängig kaum zu überprüfen.
Was am Mittwoch wichtig wird
Der Nahost-Koordinator von US-Präsident Joe Biden, Brett McGurk, will in Kairo mit dem Chef des ägyptischen Geheimdienstes über die erwartete israelische Militäroperation in Rafah und die Bemühungen um die Freilassung von Geiseln in der Gewalt der Hamas sprechen. US-Präsident Joe Biden hatte Israel mit deutlichen Worten gewarnt, eine solche Militäroperation dürfe «nicht ohne einen glaubwürdigen und durchführbaren Plan zur Gewährleistung der Sicherheit und Unterstützung der Zivilbevölkerung in Rafah stattfinden». Es müsse «einen vorübergehenden Waffenstillstand» geben, um die Geiseln zu befreien. Biden äusserte die Erwartung, «dass die Israelis in der Zwischenzeit keine massive Bodenoffensive durchführen werden».