Neue Comics zeigen Franz Kafka in Schwarz-Weiss mit Zwischentönen
Mit Blick auf den 100. Todestag von Franz Kafka (1883-1924) am 3. Juni 2024 sind drei Graphic-Novels erschienen, die den Prager Autor und seine Erzählungen in neuem Licht erscheinen lassen. Und: Der Zürcher Stauhof lädt anlässlich des Gedenkjahrs zu einer Ausstellung.
Franz Kafkas Erzählungen bieten sich für illustrierte Adaptionen in Schwarz-Weiss-Bildern geradezu an. So überrascht es nicht, dass sich drei jüngst publizierte Graphic Novels ganz auf Tusche und Feder verlassen. Dabei geht glücklicherweise nicht vergessen, dass Kafka auch ein Meister der Zwischentöne war.
Nicolas Mahler: vergnüglich ernsthaft
In den letzten Jahren hat der Zeichner Nicolas Mahler wiederholt moderne Klassiker mit seinen typischen Strichfiguren interpretiert. Er dampfte etwa Prousts siebenbändige «Suche nach der verlorenen Zeit» ohne viele Worte auf 170 Seiten ein. Etwas mehr Text mutet er uns nun in «Komplett Kafka» zu. Im Wechselspiel von Wort und Bild führt er die Tragikomik des Prager Autors vor, der ein Leben lang mit sich und seinen Texten haderte.
Mit spürbarer Empathie zeichnet, zitiert und porträtiert Mahler einen Menschen, der nach aussen hin adrett wirkte, sich aber in inneren Zweifeln verzehrte. Auf der einen Seite sorgten der übermächtige Vater, das Scham beladene Verhältnis zu Frauen, die Lust am eigenen Wurmdasein für Beklemmung, auf der anderen fand er im Humor, im explodierenden Lachen und vor allem in der literarischen Leidenschaft Trost und Erleichterung.
Mahler hält die beiden Pole im Gleichgewicht, auch formal. Mal begleiten Bilder den Text, mal sprechen Worte aus den minimalistischen Strichskizzen, in denen Kafkas eigene Tuschzeichnungen anklingen.
«Komplett Kafka» ist ein ebenso witziges wie ernsthaftes Porträt, das Kafkas Gestalt in oft beiläufigen, doch vielsagenden Situationen einfängt, ohne die grossen Werke zu vernachlässigen. Solide Textnachweise laden ein, die Reise zu Kafka selbst zu unternehmen.
Robert Crumb: unverkennbar schraffiert
In den letzten Jahren hat der Literaturwissenschaftler Rainer Stach drei exzellente Bände zu Kafkas Biografie vorgelegt. Neue Erkenntnisse sind daher selbst vom legendären Robert Crumb nicht zu erwarten. Zusammen mit dem Hörspielautor David Zane Mairowitz legte der Zeichner bereits 1993 eine Comic-Biografie vor, die neu auf Deutsch als Taschenbuch erschienen ist.
Dieser Klassiker der Kafka-Comics war ursprünglich «für Anfänger» gedacht. Die fundierten Texte geben informativen Einblick in Kafkas Zerrissenheit und sein Ringen um ein Werk, das er am Ende verbrannt haben wollte. Mairowitz vergisst auch den historischen Kontext nicht und legt ein besonderes Augenmerk auf das Jüdische respektive Kafkas Umgang damit.
Zuweilen droht seine ausführliche Darstellung das Bild förmlich zu erdrücken. Der anarchische Zeichner Crumb aber hält dagegen. Er zeigt sich als präziser Illustrator, der Kafkas Welt mit seinen unverkennbaren Schraffuren anschaulich festhält, um hin und wieder doch eine seiner wilden Bildideen einzufügen. Vor allem lässt er es sich nicht nehmen, den verwandelten Gregor Samsa als Käfer zu zeichnen, obwohl Kafka selbst einmal dringlich davon abriet.
Wo Mahler aussagekräftige Lücken lässt, gibt Mairowitz ein abgerundetes Bild von Kafka und davon, wie er ihn selbst sieht. Sein Porträt ist weniger ein biografischer Comic als eine eigenwillig illustrierte Biografie, die mitunter zwar etwas umständlich formuliert ist, aber einen guten Einstieg in den Kafka-Kosmos eröffnet.
Danijel Žeželjs Hungerkünstler
In den zwei erwähnten Bänden spielt die Erzählung «Ein Hungerkünstler» (1924) eine zentrale Rolle. In der dunklen Graphic Novel «Wie ein Hund» stellt sie der Zeichner Danijel Žeželj in den Mittelpunkt.
Der Hungerkünstler ist die grosse Attraktion in einem modernen Vergnügungspark. Einsam sitzt er oben auf einem Turm, während ihn der Impresario dem Publikum als Weltsensation anpreist – bis der Hype verblasst und neue Attraktionen locken.
Žeželj verleiht der Erzählung eine kraftvolle Bildsprache, in der die Schwärze den spärlichen Weissraum dominiert. Spektakulär spielt er mit filmischen Effekten, indem er Dinge heran- und wegzoomt oder die Perspektiven in kühnen Auf- oder Untersichten inszeniert. Die einzelnen Bilder erscheinen mal ganzseitig, mal überlagern sie sich oder sind kleinteilig angeordnet. Auf dem Titelbild erscheint Kafka im Schattenriss als Samurai mit einem Schwert in den Händen.
«Wie ein Hund» ist eine effektvolle Adaption, die Kafkas Text in kleinen Kästchen mitten ins Bild setzt und am Schluss des Bandes integral abdruckt. Dabei folgt ihm Žeželj nicht linear, sondern durchbricht das Kontinuum mit weiteren Erzählungen, darunter Auszügen aus «Der Prozess» (1925). Dieser Kniff wirkt dramaturgisch nicht ganz schlüssig, er verleiht dem Band aber eine zugespitzte Dramatik. Dem Zeichner geht es weniger um Texttreue als um eine «bildnerische Collage» mit Texten, wie er schreibt. Diese Texte haben ihn sichtlich bewegt.*
*Dieser Text von Beat Mazenauer, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.