US-Serienboom vorbei – Crash bei Zahl der Produktionen
Der amerikanische Serienboom geht wohl tatsächlich zu Ende. Im Laufe des Jahres 2023 wurden in den USA noch 481 Drehbuchserien veröffentlicht, heisst es in einer Studie des in London ansässigen Medienanalyseunternehmens Ampere.
2022 seien es beim Höchststand noch 633 US-Serien gewesen. Das ist ein Rückgang von 24 Prozent. Das berichteten Branchendienste wie «The Hollywood Reporter» und «Variety». Die Serienzahl von 2023 liegt demnach unter anderem wegen einer Übersättigung des Marktes und den monatelangen Streiks von Drehbuchautoren und Schauspielern sogar noch unter derjenigen des schwierigen Corona-Krisen-Jahres 2020.
Die in der Vergangenheit öfter zitierte jährliche Zählung der Fernsehforscher von FX Research (aus dem Disney-Konzern) liegt allerdings noch nicht vor. Sie hatte für 2022 bei den Streaming-, Kabel- und Rundfunkanstalten der Vereinigten Staaten 599 Staffeln (statt 633) von neuen und fortgesetzten Serien summiert. Die Zahl sogenannter Original Scripted Series hatte sich demnach in rund zehn Jahren mehr als verdoppelt.
Experte: Nur Frage der Zeit
Der Drehbuch-Professor Timo Gössler von der Filmuniversität Babelsberg in Potsdam sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Das Ende des grossen Serienbooms war nur eine Frage der Zeit – entscheidend ist jetzt, was davon übrig bleibt.» Und da sei er gar nicht so pessimistisch, betonte der Serienexperte und Autor («Der German Room: Der US-Writers’-Room in der deutschen Serienentwicklung»).
«Die grössere Vielfalt an Genres und Erzählansätzen, unkonventionellere Figuren, mutigere Stoffe oder neue Perspektiven – all das wurde erst durch den Serienboom möglich», betonte Gössler. Daran habe sich das globale Publikum in den letzten Jahren gewöhnt. «Meine Hoffnung ist, dass sich in dem jetzt härter umkämpften Markt – trotz weniger Experimenten und Masse – Qualität, Komplexität und Relevanz durchsetzen. Also all das, wofür die neue Generation an Serien steht.»
«Streaming-Krieg» und Überproduktion
In den Vereinigten Staaten war jahrelang von den fetten Jahren des Fernsehens die Rede, die den Weltmarkt beeinflussten. Im Jahr 2012 kamen laut FX Research 288 Serien raus, davon nur 15 bei den damals neuen Streamingdiensten. Der Aufstieg der Streaming-Anbieter ging dann ab 2013 richtig los – zum Beispiel mit dem Netflix-Hit «House of Cards».
Seit dem Aufkommen von Amazons Prime Video, Disney+, Apple TV+, Paramount+ und weiteren Anbietern redeten US-Medienexperten dann sogar von einem «Streaming-Krieg» und oft von einer Überproduktion.
FX-Chef John Landgraf, der schon vor einigen Jahren den in den USA für den Serienboom üblichen Begriff «Peak TV» prägte (in etwa: Gipfel-Fernsehen), prognostizierte dann vor gut einem Jahr eine grosse Trendwende beim Serien-Hype. Das goldene Streaming-Zeitalter verblasse. Und das war noch vor den monatelangen Hollywood-Streiks bei Autorinnen und Autoren, Schauspielerinnen und Schauspielern.
Streik und Content-Überdosis
Die Kombination aus den Streiks und einer Abkehr von der Content-Überdosis wird als Grund für den jetzt offenbar gewordenen Crash bei den Serien nach Drehbuch gesehen. Die Experten von Ampere nennen einen Strategiewechsel der Streamingdienste als Hauptursache für den Rückgang. So brachten die SVoD-Dienste (Subscription-Video-on-Demand; deutsch: Videoabruf-Abodienste) im vergangenen Jahr 77 Staffeln weniger heraus, die altgedienten TV-Sender der USA 55 Staffeln weniger.
Produktionen, die durch die Streiks 2023 ins Stocken gerieten, darunter zum Beispiel die fünfte und finale Staffel des Netflix-Welthits «Stranger Things», werden nun mit Verzögerung gedreht und kommen später raus als geplant. Das wird aber dennoch zu keinem grossen Nachhol-Boom führen. Denn insgesamt habe zum Beispiel Netflix seine Veröffentlichungen stark reduziert: von 107 im Jahr 2022 auf 68 im Jahr 2023.
Der Rückgang habe schon in der ersten Hälfte des Jahres 2023 begonnen und sei eben nicht ausschliesslich auf die Streiks zurückzuführen, sagen die Analysten von Ampere. Sie sehen alles in allem eine Verschiebung im weltweiten Fernsehmarkt: eine Dezentralisierung, eine «Verdrängung Hollywoods» und allgemein eine Internationalisierung.