Neues Buch zeigt Sinas Zusammenarbeit mit Literaturschaffenden
Ein guter Songtext ist Literatur, nicht erst, seit Bob Dylan den Nobelpreis gewonnen hat. Deshalb schreibt die Walliserin Sina ihre Songs gern im Austausch mit Autorinnen und Dichtern. Wie das geht, zeigt das Buch «Sina - Sich treu werden».
«Ich bin eigentlich ein Bünzli», sagte Sina im Interview vor dreissig Jahren, zuckte mit den Schultern und lachte frisch von der Leber weg. Unvergesslich. Das Gespräch fand in einer schummrigen Beiz mit Holztischen statt.
Anlass war das Erscheinen ihrer zweiten CD «Wiiblich», in deren Titelsong die damals 29-Jährige den Schönheitswahn kommentierte, der viele Frauen lebenslang gefangen hält: «Medizin macht feminin / schnipslut, schliift und macht mi fiin / bi renoviärt, gseh üs wiä neu / Femme fatale odär eifach Fröi.» Der Text war alles andere als bünzlig, und musikalisch war sie gerade aus dem schmusigen Schlagerfach zur Rockfraktion übergelaufen.
Bünzlig reagierten darauf nur Sinas alte Fans – und die neuen Kollegen, Männer mit Stromgitarren, die unter sich bleiben wollten und die selbstbewusste Walliserin mit der starken Stimme abschätzig beäugten. Seither hat Sina sich als einzige Frau im Schweizer Popbusiness durchgesetzt und über Jahrzehnte gehalten. Jeder will heute auf die Bühne mit ihr, und das Rohmaterial für ihre Songtexte liefern Lieblinge des Literaturbetriebs, von denen einige auch am neuen Buch «Sina – Sich treu werden» mitgetextet haben.
Walliser Übersetzungen
Der Aargauer Autor Urs Augstburger beschreibt die Zusammenarbeit mit Sina so: «Wenn du gerade denkst, sie könne dich nicht mehr überraschen, schickt sie dir diese neue Songzeile: ‘D’Wält isch voll gsturrunä Gschpänschtär’. Als Widerhall auf einen vorherigen Satz: ‘D’Wält isch voll gspässigi Tänzer’. Und als Songtexter lernst du zweierlei: Egal, womit du Sina herausforderst, sie antwortet stets mit etwas Besserem. Und zweitens: Never mess with Walliserdeutsch! In dem Dialekt gibt es für alles noch ein kernigeres Wort.»
Weil Sina Mundart singt – eine Mundart, die «Üsserschwiizer» und andere Deutschsprachige nicht für sie schreiben können – muss sie die literarischen Eingaben ihrer Sparring Partner erst übersetzen, bevor sie sie singbar macht. Sibylle Berg, die aus Weimar stammende Trägerin des Schweizer Buchpreises, bekam von Sina einen Crashkurs und schreibt in dem Buch: «Einige Lektionen Walliserdeutsch später wohnten wir zusammen, und ich schrieb viele Songs für Sina, vielleicht waren es in den letzten zwanzig Jahren fünfzig?»
An einem einzigen Song beteiligt war Christoph Simon, der Sina als zeitweiliger Slampoet Texte in seiner eigenen Berner Mundart schickte. Er freute sich, als sie ihm beschied: «Ich schieb mal und übersetz und dann kommt ein Lied zurück». Ein Jahr verging. «Wie konnte ich nur meinen, Sina habe Zeit und Lust, Halbgares aus meinem Notizbuch zur Blüte zu bringen?», dachte sich Simon und vergass das Ganze. Kurz darauf die Post von Sina: «Hier kommt der aus meiner Warte fertige Text, bitte schreib einfach rein und korrigiere, wenn du was Passenderes, Besseres, Schöneres hast, gell?» Der so entstandene Song «S’wird immär so sii» erschien 2022 auf dem jüngsten Sina-Album «Ziitsammläri».
Talent im Tumbler
Das Buch «Sina – Sich treu werden» gewährt nicht nur Einblicke in den Prozess des Songwritings und kleine literarische Hommagen an eine grosse Schweizer Musikerin. Es wartet mit einer Fülle verschiedensten Materials auf: Interviews, Fotostrecken und Zeitungsartikel wechseln sich in wilder Folge ab mit Sinas eigenen Textbeiträgen, Lyrics, persönlichen Dokumenten und privaten Bildern aus ihrem Archiv.
So ergibt sich ein Mosaik, das beim Vor- und Zurückblättern kaleidoskopartig in Bewegung gerät. Sina in Super-8-Trashfilmchen, Sina am Theater Bochum, Sina mit Roma, Sina in China. Ist es bünzlig, sich zwischen diesen Buchdeckeln etwas mehr Struktur zu wünschen, zumal das klassische Cover und die Bezeichnung «Biografie» Solches erwarten lassen?
«Wir machen, was uns einfällt, werfen unsere Talente in den Tumbler und schauen, was Farbiges dabei herauskommt», schreibt Sina im Kapitel über ihre schrägen Shows mit der Jazz-Performerin Erika Stucky. Alles nur eine Frage der Fantasie? Um mit Sibylle Berg zu sprechen: «Mir gefiel am Songschreiben für Sina einfach ihre Fantasie zu meinen Texten, die, wie es sich für mich gehört, meistens ein wenig nihilistisch oder gar traurig waren. Sina schaffte es, aus jedem noch so dunklen Text etwas Aufbauendes zu machen. Hut ab.»*
*Dieser Text von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.