Der neue Turmwächter von Lausanne ist begeistert von seinem Job
Zwischen 22.00 und 02.00 Uhr ruft er den Einwohnerinnen und Einwohnern von Lausanne vom Glockenturm der Kathedrale aus die Stunden zu: Der neue Turmwächter Alexandre Schmid fühlt sich nach seinen ersten Nächten wie im siebten Himmel.
Der 32-jährige Lausanner trat am 1. Januar die Nachfolge von Renato Häusler an, der während 20 Jahren im Amt war und im Dezember in den Ruhestand ging. Wie dieser ruft Schmid nun fünfmal pro Nacht die Stunden aus, bei durchschnittlich fünf Nächten pro Woche. Unterstützt wird er von sechs Stellvertretern, darunter seit 2021 erstmals auch eine Frau.
«In der ersten Nacht hatte ich etwas Lampenfieber und Angst. Aber das hat sich schnell gelegt. Alles ist gut gelaufen», sagte Schmid nach drei Nächten im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Es ist beeindruckend, dort oben zu sein, ganz allein im Dunkeln. Aber man hat es schön warm, man fühlt sich wohl», sagte der neue «Guet», wie der Stundenausrufer auf Französisch heisst.
«Geheimnisvolle Atmosphäre»
Der Ausguck hat im Glockenturm der Kathedrale eine kleine Kammer mit einer kleinen Koje, die er nach seinen Vorstellungen einrichten kann. Abgesehen von ein paar Kerzen und Büchern ist es noch etwas leer. Der Raum bietet Platz für maximal fünf bis sechs Personen. Um die Stunden in die Stadt hinauszurufen, muss er rund 150 Treppenstufen hinaufsteigen.
«Das ist genau das, was ich erwartet habe. Es ist etwas Geheimnisvolles in den Höhen der Kathedrale. Es ist eine besondere Atmosphäre, die ich sehr schätze», erklärte der Liebhaber mittelalterlicher Geschichte und Kenner der Stadt Lausanne. Zwischen seinen Runden will der neue «Guet» vor allem in Büchern schmökern.
Was die Arbeitszeiten betrifft, so sagte er, dass er seinen Arbeits- und Schlafrhythmus noch finden müsse. Er kommt gegen 21.45 Uhr an seinem Arbeitsplatz an, um gegen 02.15 Uhr wieder aufzubrechen und nach Hause in die Nähe des Bahnhofs zu gehen. Schmid hat an der Universität Lausanne einen Bachelor in Geschichte und Geografie erworben und erklärte, dass dieser Job ungefähr einem 50-Prozent-Pensum entspricht, das von der Stadt bezahlt wird. Dies ermögliche ihm einen Lebensstandard wie früher als Student.
Seit 1405
1405 wurde der «Guet» von Lausanne erstmals schriftlich erwähnt, wahrscheinlich gab es ihn aber schon viele Jahrzehnte früher. Damals bestand die Aufgabe des Turmwächters nicht nur darin, von der Kathedrale aus die Stunden auszurufen, sondern auch vor Angriffen oder Bränden zu warnen.
Die Europäische Bruderschaft der Wachen listet 58 Städte in neun europäischen Ländern auf, in denen die Tradition des Turmwächters noch praktiziert wird, namentlich in Deutschland und Dänemark. In der Schweiz gibt es ausser in Lausanne auch in Bischofszell TG, Schaffhausen und Stein am Rhein SH noch aktive Wachen.