Telefongespräch ins Jenseits mit dem «Windtelefon» am Jurafuss
Ein Telefonanruf ins Jenseits, um mit Verstorbenen zu sprechen: Mit dem «Windtelefon» in Villars-Burquin VD oberhalb von Grandson haben das schon 50 Hinterbliebene getan. Die helle, verglaste Holzkabine steht seit Mai am Fuss des Juras.
Am Chemin de Poéty Nummer 20 steht die Kabine auf einer Holzplattform in einer Ecke des riesigen Gartens von Patrick Genaine, einem Spezialisten für Trauerbegleitung, weit entfernt von seinem Haus. Umgeben von Bäumen, Pflanzen, Büschen und Blumen bietet die Telefonzelle einen Panoramablick auf den südlichen Neuenburgersee und die Alpen vom Moléson bis zum Mont-Blanc.
Schlicht und elegant ist sie, aus Holz und weitgehend verglast. Im Inneren befinden sich zwei alte Telefone ohne Stecker, die auf einem kleinen Wandtisch stehen, zwei Hocker, ein Notizbuch, ein Stift und zwei Gebrauchsanweisungen, eine für die Kleinen und eine für die Grossen.
Eine japanische Geschichte
Das «Windtelefon» ist eine einfache, intime und poetische Art, mit dem Jenseits zu sprechen und Kindern und Erwachsenen bei einem Trauerfall zu helfen. In Japan hat das Gespräch mit Verstorbenen eine lange Tradition im Rahmen der Ahnenverehrung und des Buddhismus. Es wird normalerweise an Hausaltären praktiziert.
«Als ich das Buch einer in Japan lebenden französischen Soziologin las, stiess ich auf zehn kurze Zeilen, in denen die Geschichte der Telefonzelle von Itaru Sasaki erwähnt wird», sagte Genaine, der Hüter des Ortes, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Er hat seine Telefonzelle innerhalb von drei Monaten selbst gebaut.
Schon 2010 hatte der japanische Gartenarchitekt Sasaki beschlossen, eine alte Telefonzelle, die er aus einem abgerissenen Einkaufszentrum gerettet hatte, in seinem Garten aufzustellen.
Die Installation half ihm, den Verlust eines geliebten Menschen zu akzeptieren und das schmerzhafte Ereignis besser zu verarbeiten. Da Sasaki der Meinung war, dass der Wind seine Worte an seinen Cousin weitertrug, nannte er seine Kabine «Kaze no Denwa» («Windtelefon»).
Ein Jahr später beschloss Sasaki, nach dem Tsunami und der Atomkatastrophe in Fukushima seine Kabine für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Eine emotionale Tür
Aber obwohl ein Japaner dieses Konzept erfunden habe, sei es keine allein japanische Tradition und kein japanisches Ritual an sich, sagte Genaine. «Es hätte überall sonst auf der Welt geschehen können.» Ihm zufolge gibt es in Japan drei «Windtelefone» und weltweit etwa hundert. In der Schweiz gibt es nur ein einziges Windtelefon.
«Aufgrund meiner Ausbildung und meines Werdegangs habe ich sofort das Potenzial dieser Kabine gespürt. Es war so offensichtlich», so Genaine. In der Kabine passiere etwas, man könne seinen Gedanken freien Lauf lassen. «Emotionen und Erinnerungen können freigesetzt werden, eine emotionale Tür kann sich öffnen, wenn etwas noch festsitzt.»
Genaine schätzt, dass seit der Eröffnung der Telefonzelle am 15. Mai etwa 50 Menschen das Telefon benutzt haben – wenn man die im Notizbuch hinterlassenen Worte berücksichtige. Das Facebook-Konto der Einrichtung verzeichnet bis heute mehr als 1200 Freunde.
Die Benutzung des «Windtelefons» ist kostenlos, und die Kabine ist das ganze Jahr über täglich zwischen 14.00 und 19.00 Uhr geöffnet. Es ist nicht nötig, einen Termin zu vereinbaren. Man kann allein, zu zweit oder mit der Familie kommen. Und es ist auch möglich, den «Hüter des Ortes» zu treffen und sich mit ihm auszutauschen.