Die besondere Beziehung von Literatur und Film im Literaturarchiv
Das Schweizerische Literaturarchiv (SLA) geht mit einem Forschungsschwerpunkt und seiner Zeitschrift an die Grenze zwischen Film und Literatur. Mitherausgeber Magnus Wieland spricht über den Film im Literaturarchiv und einen unzufriedenen Dürrenmatt.
«Quarto» heisst die mehrsprachige Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs (SLA), die ein- bis zweimal pro Jahr erscheint und sich an ein interessiertes Publikum richtet. Anfang Dezember erscheint die 52. Ausgabe und sie ist ein Novum. Denn sie ist dem Film gewidmet. Entstanden ist sie im Rahmen des diesjährigen SLA-Forschungsschwerpunktes «Literatur und Film». So lautet denn der Titel der 52. Ausgabe «Filme … nicht realisiert».
«Die Idee dazu wurde in einem Workshop entwickelt», sagt Wieland im Gespräch mit Keystone-SDA. Er verantwortet das Heft redaktionell zusammen mit Stéphanie Cudré-Mauroux. Das SLA sei ein Ort für Entdeckungen, ein Ort, an dem Unbekanntes, Unpubliziertes und Unveröffentlichtes schlummere. Deshalb habe die Idee nahegelegen, eine Ausgabe zu nicht realisierten Literaturverfilmungen zu machen.
«Nicht realisiert» heisst in diesem Fall, das zu Filmprojekten lediglich Entwürfe, Treatments, Drehbücher oder Storyboard-Skizzen überliefert sind. «Bei der Recherche ist erstaunlich reichhaltiges und nicht zuletzt auch visuell reizvolles Material zum Vorschein gekommen», schwärmt Wieland.
Roman als Gegenentwurf zum Film
Ein Beispiel, was davon seinen Weg ins Heft «Filme … nicht realisiert» gefunden hat, sei der Text über Friedrich Dürrenmatt. Das SLA betreut den Nachlass des Autors, der sich phasenweise stark als Drehbuch-Autor versucht hat. Vieles davon sei jedoch gescheitert, «weil es Dürrenmatt nicht gelang, seine ‘Erfindung’ aus der Hand zu geben», erzählt Wieland. Für den Film «Es geschah am helllichten Tag» aus dem Jahr 1958 verfasste Dürrenmatt zwar das Drehbuch, aber mit der unterkomplexen Umsetzung war er gar nicht einverstanden. Als Gegenentwurf schrieb Dürrenmatt den Roman «Das Versprechen».
«Ein anderes Beispiel für die vielschichtige Wechselwirkung zwischen Literatur und Film ist das Buch über Louise Brooks des Schriftstellers Roland Jaccard», sagt Wieland. «Fasziniert vom Kino der frühen Stummfilmzeit, liess er sich zu einem literarischen Porträt inspirieren und verhalf so dem in Vergessenheit geratenem ‘Anti-Starlet’ wieder ins cinemahistorische Gedächtnis.»
Neben diesen Beiträgen, die auf Archivfunden aus der Literatur basieren, sei bei der Konzeption dieses Filmhefts Wert darauf gelegt worden, dass auch Originalbeiträge von Kulturschaffenden, insbesondere aus der Filmbranche, enthalten sind. So berichtet zum Beispiel die Regisseurin Gertrud Pinkus über ihr Projekt einer Verfilmung von Mariella Mehrs Roman «daskind» und Etienne Delessert spricht über die Gründe, weshalb sein auf einer Vorlage von Maurice Chappaz basierender Animationsfilm «Supersaxo» nicht zustande kam.
Mehr Film im Literaturarchiv
Durch den Forschungsschwerpunkt «Literatur und Film» habe sich der Stellenwert des Schweizer Films im Literaturarchiv in den letzten Jahren stark erhöht. «In regelmässigen Abständen organisierten wir eine Art Lunchkino», sagt Wieland. Über den Mittag wurden exemplarische Verfilmungen von Schweizer Literatur visioniert und diskutiert. Daraus entstand in diesem Jahr eine Kooperation mit dem Kino Rex und dem Lichtspiel in Bern.
Die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Film, danach, was Film und Literatur verbindet oder auch trennt, findet Wieland schwierig zu beantworten: «Das hängt zunächst davon ab, was man unter Film und Literatur genau versteht: Spiel- oder Dokumentarfilm, Romane oder Lyrik?» Die im «Quarto» behandelten Beispiele würden jedenfalls bestätigen, dass es einen kreativen Austausch zwischen Literatur und Film gäbe, der sich auf unterschiedliche Weise realisieren könne.*
*Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.