«Die Situation ist angespannt und muss ernst genommen werden»
Im Kanton Schwyz haben 270 Lehrpersonen nur eine befristete Lehrbewilligung. Bildungsdirektor Michael Stähli äussert sich zum Lehrpersonenmangel und zur Kritik am Erziehungsrat.
Mit Michael Stähli sprach Jürg Auf der Maur
Vergangene Woche starteten die Schulen in Ausserschwyz, heute im inneren Kantonsteil. Das grosse Thema ist der Mangel an Lehrpersonen. Fehlen noch viele?
Es sind alle Klassenlehrpersonen-Stellen besetzt. Es konnten jedoch nicht überall Wunschlösungen umgesetzt werden, es waren auch Kompromisse nötig. Die Schulträger und die Schulverantwortlichen haben sehr gut gearbeitet, und für jede Klasse steht nun eine verantwortliche Lehrperson bereit.
Was heisst das konkret?
Aber die Situation ist angespannt und muss ernst genommen werden. Es zeigt sich, dass sich auch im Bildungsbereich der Personalmangel zuspitzt.
Wie viele berufsfremde Lehrpersonen sind nun im Einsatz?
Es gibt knapp 270 Lehrpersonen, die eine befristete Lehrbewilligung haben, weil sie nicht oder noch nicht über eine Ausbildung mit der erwarteten Qualifikation verfügen. Diese Zahl ist aber angesichts der rund 1950 Lehrpersonen in der Volksschule nicht übermässig hoch. Wie gesagt, es sind befristete Lehrbewilligungen, und wir müssen jetzt schauen, dass diese Personen die erforderlichen Qualifikationen erlangen beziehungsweise eine reguläre Ausbildung durchlaufen.
Das fordert auch der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Die Erfahrung in Zürich zeigt, dass der Wille zur Ausbildung zwar da ist, sich aber viele vorzeitig wieder zurückziehen oder die notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllen.
Wir wollen an der Qualität unserer Volksschule nicht rütteln. Das war auch nie ein Thema. Die Folgeschäden wären zu hoch, wenn wir die Anforderungen senken würden. Es könnte ein Exodus von bewährten und gestandenen Lehrkräften drohen, weil sie das Gefühl hätten, Qualität und Erfahrung seien gar nicht mehr gefragt. Wir wollen keine Eigengoals schiessen.
Geht die kurzfristige Suche nach Lehrkräften nun Jahr für Jahr so weiter?
Es wird sicher schwierig bleiben, weil sich im Schulbereich alles auf die Jahresmitte als fixen Arbeitsbeginn konzentriert. In anderen Berufen herrscht das ganze Jahr Fachkräftemangel. In der Schule spitzt sich die Suche auf Anfang August zu. Im Schulbereich wird die Lage sicher noch zehn Jahre angespannt bleiben. Bis dahin werden die Schülerzahlen steigen, gleichzeitig werden viele Lehrpersonen das Pensions-alter erreichen.
Der Erziehungsrat will mit einer Online-Umfrage an der Schulfront wissen, was aus Sicht der Lehrpersonen und Schulleitenden gemacht werden könnte. Es liegt aber bereits ein Bericht mit 21 möglichen kurz-, mittel- und langfristigen Massnahmen vor.
Der Erziehungsrat hat schon mit ers-ten Schritten reagiert. Der «Starter Kit»-Kurs an der Pädagogischen Hochschule Schwyz in Goldau PHSZ für Unterrichtende ohne Lehrdiplom wurde von 35 Personen besucht, 12 davon aus dem Kanton Schwyz. Zudem helfen auch das von der PHSZ lancierte berufsintegrierende Studium und die jüngsten Umsetzungsbeschlüsse aus der VSG-Teilrevision, um unsere Volksschulen zu unterstützen und weiter zu stärken.
Im Vordergrund stehen auch Lohnforderungen. Der Kanton Schwyz scheint Nachholbedarf im Vergleich zu anderen Kantonen wie etwa Zürich zu haben. Ist das gar kein Thema?
Die Löhne werden bestimmt auch ein Thema sein. Aber hier zeigt sich, dass es eben nicht ein Allzweckmittel gibt. Die Lohnhöhe hat nicht bei allen Lehrpersonen die gleich grosse Bedeutung.
Inwiefern?
Höhere Löhne haben hohe Priorität bei jüngeren, eine tiefere aber bei älteren Lehrpersonen. Bei diesen geht es mehr um die Frage der Belastung oder der Heterogenität im Klassenzimmer. Auch Arbeitswege, Freizeitmöglichkeiten oder die Wohnsituation bekommen einen höheren Stellenwert.
Was heisst das konkret?
Es braucht verschiedene Massnahmen, um die Bedürfnisse aller Lehrpersonen in der Volksschule – und der Eltern – erfüllen zu können. Deshalb sind zum Beispiel auch wirkungsvolle Anreize für die Klassenlehrpersonen wichtig. Eine hohe Bedeutung hat für viele nämlich auch der administrative und kommunikative Aufwand. Wir müssen erreichen, dass es wieder interessanter wird, Klassenlehrperson zu sein, und verhindern, dass zahlreiche Lehrkräfte wegen des Zusatzaufwands nur noch als Fachlehrperson tätig sein wollen.
Noch liegt die Online-Umfrage nicht vor.
Die Auftragsvergabe konnte nach durchgeführtem Ausschreibungsverfahren an eine ausserkantonale Firma erfolgen. Der Erziehungsrat wird Ende September die Inhalte für die im Oktober geplante Online-Umfrage freigeben, sodass er im Dezember die Auswertung der Ergebnisse wird diskutieren können. Es wird allenfalls Massnahmen geben, die schnell umsetzbar sind, andere werden bestimmt länger dauern, weil sie allenfalls noch im Kantonsrat behandelt werden müssen oder Referenden möglich sind. Klar ist auch, dass die einzelnen Massnahmen mit Preisschildern versehen sein werden.
Was meinen Sie konkret?
Nicht nur allfällige Lohnerhöhungen kosten. Wenn die Lehrpersonen entlastet werden sollen, wird das auch kos-ten. Heute zählen wir pro Klasse knapp zwei Stellen – vom Klassenlehrer bis zur heilpädagogischen Unterstützung. Die alte Regel «eine Klasse gleich eine Lehrperson» gilt schon lange nicht mehr, weil seit rund 20 Jahren auch geistig oder körperlich behinderte Kinder in unseren Schulunterricht integriert werden. Da ist eine zusätzliche Unterstützung notwendig.
Das wird ja oft kritisiert. Ist das Modell gescheitert, oder bleibt es unbestritten?
Es ist in der Tat anspruchsvoller. Aber auch der Anspruch der Gesellschaft hat sich geändert. Zu meiner Volksschulzeit mussten sich Eltern von behinderten Kindern anhören, dass man da nichts machen könne. Die betroffenen Familien wurden oft einfach ihrem Schicksal überlassen. Das würde die heutige Gesellschaft nicht mehr akzeptieren, und entsprechend hat sich das zum Glück auch gewandelt. Alle Eltern wollen, dass das Bildungspotenzial ihrer Kinder genutzt wird und diese eine ordentliche, gute Ausbildung bekommen.
Die Ansprüche der Eltern haben sich auch sonst verändert. Gibt es mehr Prozesse?
Schulverantwortliche melden uns, dass der Einfluss der Eltern über die Jahre stärker geworden ist – in Ausserschwyz noch mehr als in Innerschwyz. Mit den privaten Volksschulen nimmt auch die Konkurrenz zu. Eltern wünschen sich beispielsweise bilingualen Unterricht oder eine gezielte stärkere Förderung von spezifischen Talenten.
Das kann die Volksschule nicht bieten?
Die Volksschule kann schon mithalten, aber die Anpassungen dauern länger. Wenn es um relevante Veränderungen geht, sind Aushandlungsprozesse zu durchlaufen und gesetzliche Grundlagen zu schaffen.
Unter Druck kam im Frühling zudem der Erziehungsrat.
Die Aussprache zwischen der Bildungskommission und dem Erziehungsrat vor den Sommerferien war sehr nützlich und half, dass die unterschiedlichen Zuständigkeiten klarer wurden. Wir müssen aber den Austausch zwischen den beiden Gremien sicher verbessern. Sie müssen sich gegenseitig auf dem Laufenden halten über die Themen, die sie beschäftigen. Das kann aber auch informell passieren. Die Kritik am Erziehungsrat war ausgerechnet in jener Fraktion am grössten, die auch am meisten Erziehungsräte stellt. Es ist nicht verboten, sich bei Parteikollegen und -kolleginnen zu informieren.
«Klar ist, dass die einzelnen Massnahmen mit Preisschildern versehen sein werden.»