Die Russen sind zurück in Wimbledon – und wie
Das gibt es in Wimble-don nur ganz selten. Das sonst so gesittete Publikum schickt Victoria Asarenka mit lauten Buhrufen in die Garderobe – und dies nach einem packenden Achtelfinal, den sie 9:11 im Match-Tiebreak des dritten Satzes gegen die Ukrainerin Jelina Switolina verloren hat. Dabei hat die Belarussin nichts falsch gemacht – im Gegenteil.
Im Gegensatz zu Aryna Sabalenka, die in Paris geradezu demonstrativ am Netz auf den Handschlag der damals unterlegenen Switolina gewartet hatte, zog sich Asarenka zurück, zollte Switolina aber mit einer kleinen Geste ihren Respekt. Ein Teil der Fans interpretierte ihr Verhalten aber als unsportliche Verweigerung des Handschlags einer schlechten Verliererin. Sie hatten offensichtlich nicht mitbekommen, dass Switolina wie alle Ukrainerinnen allen Russinnen und Belarussinnen wegen Russlands Invasion in ihrem Land prinzipiell den Handschlag verweigert.
Betrunkene Zuschauende
«Da waren wohl einige schon etwas betrunken», meinte Asarenka ziemlich frustriert. «Ich habe ja nichts falsch gemacht. Ich bin nicht sicher, ob viele Leute verstanden haben, was passiert ist.» Im Grossen und Ganzen verläuft die durchaus umstrittene Rückkehr der Spieler und Spielerinnen aus Russland und Belarus aber ohne grosse Komplikationen, vor allem aber sehr erfolgreich. Nicht weniger als drei Russen, zwei Russinnen und zwei Belarussinnen erreichten die Achtelfinals.
Die meisten von ihnen zeigen sich auch sehr zufrieden mit dem Empfang durch das Publikum. «Ich wusste nicht so recht, was uns erwarten würde», gibt die Weltnummer 3, Daniil Medwedew, zu. «Ich hätte mir vorstellen können, dass die Reaktion der Leute nicht so positiv ist.» Doch er wurde im Guten überrascht. «Da war null negative Energie. Ich hatte noch nie einen so tollen Empfang in Wimbledon.»
Töchterchen Skaï muss warten
Er versuche nun, etwas davon zurückzugeben. Wie? «Indem ich keine verrückten Dinge tue und mich auf dem Platz nicht wie ein egoistisches Kind aufführe», meinte der 27-jährige Moskauer lachend, der sich 2019 auch schon mit den lauten New Yorker Fans angelegt hat-te. Bis jetzt hält er Wort und steht erstmals im Rasenmekka im Viertelfinal.
Die Ukrainerin Jelina Switolina erreichte derweil mit einem Sieg gegen die Weltnummer 1 und Bencic- Bezwingerin Iga Swiatek sogar die Halbfinals. Der Handschlag mit der Polin fiel aber nicht deswegen besonders herzlich aus. «Ich bin Iga so dankbar für ihre Unterstützung der Ukraine. Sie tut alles, was in ihrer Macht steht», hatte sie schon zuvor betont.
Hilfe erhalten die Ukrainerinnen – Männer hatte es keine im Tableau – auch vonseiten des britischen Verbandes. Dieser bezahlt die Unterkünfte aller Ukrainer seit Beginn der Vorbereitungsturniere auf der Insel.
Einer ist vielleicht über den Erfolg Switolinas nicht uneingeschränkt glücklich. Ihr Mann Gaël Monfils muss nun zu Hause in Frankreich weiter nach dem neun Monate alten Töchterchen Skaï schauen. «Er ist, glaub schon, etwas überfordert mit dem Babysit-ten », meinte sie schon nach der 3. Runde lachend. Tickets für ein Konzert von Harry Styles am letzten Samstag hatte sie schon zuvor verschenken müssen, weil «Wimbledon dazwischen gekommen» sei.
Wunsch nach Klarheit
Switolina hat ihre Opposition gegen die Rückkehr der Russen und Belarussen auch klar kundgetan. Dennoch machte sie Asarenka nach dem Achtelfinal keine Vorwürfe. «In Paris wurde ich ausgebuht, jetzt sie. Ich habe kein Problem damit, wie sie sich verhalten hat», stellte die 28-Jährige aus Odessa fest. «Ich habe meine Position immer klargemacht. Solange russische Truppen auf unserem Land sind, schüttle ich ihre Hand nicht.» Das Problem sei wohl, dass vielen Leuten dies nicht bekannt sei.
Sie schlug vor, dass die Organisatoren die Zuschauer zuvor darüber informieren, dass der fehlende Handschlag nichts mit dem Resultat zu tun habe. Dies wird wohl vorerst nicht passieren. «Der Handschlag ist ein persönlicher Entscheid, auf den wir keinen Einfluss nehmen. Weder in die eine noch in die andere Richtung», erklärte die Turnierdirektorin Sally Bolton am Montag. Zum Thema würde der Handschlag höchstens noch im Final, falls Switolina dort auf die andere Belarussin Aryna Sabalenka treffen würde.
Sieben Tennisprofis aus Russland und Belarus sind in Wimbledon in der zweiten Turnierwoche noch dabei. Sie freuen sich über den freundlichen Empfang, es gibt aber auch Missverständnisse.