«Da steckt unfassbar viel persönliche Geschichte drin»
Breel Embolo, 26-jährig, immer wieder im Mittelpunkt. Als Fussballer, als Mensch. Der Stürmer von Monaco hat viel zu erzählen. Kaum ein Schweizer Nationalspieler hat in seinem Leben mehr erlebt als der gebürtige Kameruner. Mit knapp mehr als ein bisschen Hoffnung verliess er als Sechsjähriger das Land seiner Eltern. Inzwischen hat er über 60 Länderspiele für die SFV-Auswahl bestritten und besitzt im Fussball-Business den Status eines Stars.
In einem langen Gespräch gewährt er einen tiefen Einblick in seinen Alltag. Er erklärt, was ihn bewegt, wo er im Leben steht, was ihn antreibt und weshalb auch ihm Fehler unterlaufen. Wenige Minuten vor dem Telefonat hat er erfahren, dass er in Monaco wieder mit seinem früheren Gladbach-Coach Adi Hütter zusammenarbeiten wird.
Breel Embolo, auf der Trainerbank Monacos sitzt ab sofort ein alter Bekannter von Ihnen.
Grad eben habe ich ihn begrüsst und mich kurz mit ihm unterhalten. Ich ha-be mich für ihn gefreut. Wir telefonierten zwischendurch mal, gesehen ha-ben wir uns aber seit meinem Abschied in Gladbach vor einem Jahr nicht mehr. Hütter habe ich in bester Erinnerung. Er setzte auf mich, er ver-stand mich. Die Situation für ihn ist fast ein bisschen ähnlich wie die Ausgangslage bei Mönchengladbach. Er sollte damals die Defensive stabilisieren. In Monaco gilt das Gleiche – wir haben viel zu viele Gegentore kassiert.
Wie haben Sie ihn in Erinnerung?
Als streng, aber ruhig. Disziplin ist ihm wichtig. Er hat klare Vorstellungen, wie seine Mannschaften spielen sollen – schnell nach vorne, schnörkellos.
Wie funktioniert der Mensch Hütter?
Er ist ein Monsieur. Ein Mann mit Herz. Er zeigt seine Emotionen nicht so of-fen, aber Hütter wirkt sehr menschlich auf mich. Und er strahlt etwas aus. Er besitzt eine Aura an der Seitenlinie.
Ihre eigene Ankunft im Sommer vor einem Jahr verlief nicht ganz unkompliziert.
Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper. Im ersten Test in Southampton ging wirklich alles komplett schief, es war richtig schlimm. Danach war klar, wenn mir hier niemand vertraut, könnte es problematisch werden für mich. Die Lösung des Problems? Ich muss meine Mitspieler so rasch wie möglich kennenlernen. Wer spielt hinter mir, wer neben mir, wer vor mir? Wie interpretieren sie das Spiel? Deshalb bestellte ich beim Videocoach von jedem Spieler Sequenzen und studierte sie zu Hause. Nur so war es möglich, die Vorgaben des Klubs zu erfüllen.
Monaco hat sich viel erhofft vom 20-Millionen- Mann aus Mönchengladbach. Insbesondere der inzwischen in den Vorstand aufgestiegene Ex-Sportchef Paul Mitchell machte dem 26-jährigen Schweizer eine klare Ansage: «Du musst uns besser machen, du musst etwas Spezielles leisten.» Bis zu seinen körperlichen Beschwerden brillierte Embolo mit dem besten Output seiner internationalen Laufbahn. Zwölf Tore und vier Vorlagen produzierte er. In der Offensive wurde er zum Faktor – im Nationalteam und auf Klubebene gleichermassen.
Wie klingt die Wunschvorstellung? Für Sie, aber auch aus Sicht des Klubs.
Ich bin nicht prädestiniert dafür, solo ganz vorne zu spielen – ausser zwei extrem schnelle Flügel unterstützen mich. Auf den ersten Pfosten gehen andere schneller und besser. Ich komme lieber aus dem Rückraum. Viele verges-sen, dass ich früher jahrelang im Zentrum agiert habe. Bei Schalke hatten sie das Gefühl, ich sei am Flügel gut aufgehoben. Man schob mich auf den Positionen hin und her. Unter «Muri» (Nationaltrainer Murat Yakin) bestritt ich an der WM das erste Turnier als klassischer Neuner. Bei Hütter war ich auf Klubebene erstmals klar gesetzt als Stürmer. Entsprechend steigt die Verantwortung. Der Fokus ist ein anderer.
Was erwarten die Monegassen denn von Ihnen?
Paul Mitchell (Sportvorstand) erklärte mir klipp und klar, was sie sich vorstellen. Man hat mich als Leader, als Winner-Typ verpflichtet. Es geht darum, Zeichen zu setzen – auch in der Garderobe. Sie sehen mich als Bindeglied, als wichtiges Puzzle im grossen Bild – als einen, der unter Druck für den Unterschied sorgen kann mit seiner Mentalität.
Paul Mitchell bleibt noch ein Jahr. Der Neue, Thiago Scuro, ist Director of Foot-ball. Sein englischer Vorgänger bleibt im Hintergrund. Irgendwann wird er den Klub verlassen; er hat seinen Vertrag nicht verlängert. Er träumt vom Sprung nach England. Unruhe ist programmiert, Embolo ist auf Turbulenzen gefasst. So in etwa wie nach dem 1:6 mit der Schweiz bei der WM in Katar. Das kollektive Versagen schüttelte ihn durch.
Ihr letztes Spiel mit dem National-team endete unschön – es war beim 1:6-Debakel an der WM gegen Portugal.
Ich war sehr enttäuscht. Unmittelbar nach der WM verbrachte ich zusammen mit Granits Familie ein paar Ferientage. Während der ersten vier Tage fühlte ich mich total down, einfach nur fertig. Wir sind gegen ein Portugal ohne Cristiano Ronaldo und Cancelo untergegangen. Ich konnte es damals kaum glauben, als ich die Aufstellung gesehen habe. Die verpasste Chance, etwas Grosses zu schaffen, beschäftigte mich sehr.
Wie haben Sie das aufwühlende Duell mit Kamerun in Erinnerung?
Es waren allgemein extrem energieraubende Spiele. Ich mag mich an das physisch harte Duell mit Kamerun erinnern. Ich heulte nach meinem Tor, das Team umringte mich während fast zwei Minuten. Jeder sprach mir gut zu. Es hat mich durchgeschüttelt. Da steckt so unfassbar viel persönliche Geschichte drin.
Präsent sind noch immer die Bilder aus dem Spiel gegen Serbien, wie Sie und Ihre Kollegen den Captain Xhaka auf dem Feld solidarisch verteidigt haben.
Es war ein Statement. Aber ganz ehrlich, nervlich hat mich diese Partie auch an den Rand gebracht. Es ist so wahnsinnig viel passiert – im Vorfeld, während der neunzig Minuten, da-nach. Wow. Es war so viel Gift im Spiel. Nach dem Sieg freuten wir uns zwar, aber jeder wusste: Mit einem Tor mehr hätten wir den Gruppensieg geschafft und gegen Südkorea spielen können im Achtelfinal.
Ist der Absturz im Achtelfinal für Sie ein halbes Jahr später erklärbar?
Mehrere Spieler waren ausgepumpt. Dazu kamen taktische Wechsel. Nicht jeder fühlte sich wohl damit. Aber wir machten Fehler, die überhaupt nichts mit dem System zu tun haben. Und: Die Portugiesen haben uns anders als die Franzosen im EM-Achtelfinal zu keinem Zeitpunkt unterschätzt. Sie zogen voll durch. Sie wussten genau, wozu wir an einem guten Abend in der Lage wären. Das spricht für unsere Fortschritte. Aber das Ergebnis fühlte sich brutal an.
Zur Zukunft im Nationalteam. Die EM 2024 rückt näher. Sie haben die letzten Spiele bestimmt verfolgt – und wohl auch die Endrunde der U21-Auswahl.
Natürlich habe ich mir die U21-EM angeschaut. Wir befinden uns an einem spannenden Punkt. Mit Zeki (Amdouni) haben wir einen Jungen, der den Sprung geschafft hat. Er ist ein Plus. Seine Art und Weise, wie er sich bewegt, wie er sich anpassen kann, beeindruckt mich. Ich bin froh, haben wir einen wie ihn für die Zukunft. Er hat sich dem internationalen Wind bereits ausgesetzt. Der Nationalmannschaft kann er schon jetzt helfen.
Ist Ihnen ein weiteres Talent aufgefallen?
Ja, der Innenverteidiger von YB. Amen-da hat Klasse. Ihm traue ich eine grosse Karriere zu. Er hat die Grösse, die Schnelligkeit und ein gutes Gefühl im Fuss. Für ihn gibt es europäische Interessenten. Er könnte sogar schon bald mal ein Thema für die A-Nationalmannschaft werden. Meine Mutter kennt seine Mutter gut. Auch deshalb verfolge ich Aurèle schon länger etwas genauer.
Immer wieder setzt sich Embolo einen halben Tag lang in den Flieger und bereist die Heimat seiner Eltern. In Kamerun wird er mit einer diametral anderen Welt konfrontiert. Armut, Elend, Begehrlichkeiten, Freude, Zuspruch ohne Ende. Der Innenminister wollte ihn abschirmen. Der zweifache WM-Teilnehmer hingegen streckte die Hand aus. Er ist einer, der Nähe zulässt, der mit offenen Ohren durch die Welt geht.
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Breel Embolo sorgte zuletzt immer wieder für Schlagzeilen. In einem ausführlichen Interview gibt der 26-jährige Stürmer der AS Monaco und des Schweizer Nationalteams tiefe Einblicke in sein Leben.