Vingegaard behauptet Gelb, Pogacar tankt Selbstvertrauen
Jonas Vingegaard geht als Leader, sein grösster Rivale Tadej Pogacar als mentaler Sieger in den ersten Ruhetag der Tour de France. Der Vorjahressieger aus Dänemark und der Slowene liefern sich ein packendes Duell.
Wer im Vorfeld dieser 110. Tour de France auf einen Schlagabtausch zwischen dem Vorjahressieger Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar, dem Vorjahreszweiten und Tour-Champion 2020 und 2021, gehofft hat, wurde in den ersten neun Tagen nicht enttäuscht. Nachdem Radprofi Vingegaard mit der Unterstützung seiner schier übermächtigen Jumbo-Truppe in der ersten Bergetappe eine Machtdemonstration abgeliefert hatte, schlug Pogacar nur einen Tag später in der zweiten Pyrenäen-Etappe zurück. Am Sonntag, drei Tage nach seinem Etappensieg, zeigte sich der Slowene auch bei der zweiten Bergankunft dieser Tour in einer starken Verfassung und nahm Vingegaard an historischer Stätte erneut etwas Zeit ab.
35 Jahre nachdem die Frankreich-Rundfahrt zum letzten Mal auf dem legendären Puy de Dôme, einem erloschenen Vulkan im Zentralmassiv zu Gast gewesen war, setzte Pogacar 1,5 Kilometer vor dem Ziel eine seiner gefürchteten Attacken. Vingegaard kämpfte auf dem bis zu 18 Prozent steilen Anstieg, auf dem sich einst der fünffache Gesamtsieger Jacques Anquetil und der ewige Zweite Raymond Poulidor ein denkwürdiges Duell geliefert hatten, verbissen um den Anschluss – und hielt den Schaden in Grenzen. Pogacar kam acht Sekunden vor dem Dänen ins Ziel und liegt vor dem ersten Ruhetag in der Gesamtwertung nur noch 17 Sekunden hinter diesem zurück.
Die neunte Etappe lieferte erneut die Erkenntnis, dass, wenn einer von den beiden angreift, nur jeweils der andere folgen kann. Für den Rest geht es im besten Fall um den dritten Platz auf dem Podest in Paris. Mit einem Rückstand von 2,40 Minuten hat der vormalige Leader Jai Hindley aus Australien diesbezüglich aktuell die Nase vorne. Dahinter folgen der Spanier Carlos Rodriguez (4:22 zurück) und die Gebrüder Adam und Simon Yates mit ebenfalls noch weniger als fünf Minuten Rückstand. Pogacars Sekunden für die Moral
Obwohl Pogacar am Sonntag nur wenige Sekunden auf Vingegaard gutmachte, dürfte ihm dies viel Selbstvertrauen für die weiteren Aufgaben im Hochgebirge geben. Der unbestrittene Captain vom Team UAE Emirates, der aufgrund eines Handgelenkbruchs nur mit zwei Renntagen in den Beinen in die Tour gestartet war, hat nun schon zwei Mal bewiesen, dass er auf das hohe Tempodiktat von Vingegaards Team am Berg eine Antwort parat hat. «Ich war sehr froh, dass ich ein wenig Zeit gutmachen und ihn unter Druck setzen konnte», zeigte sich Pogacar zufrieden.
Vingegaard seinerseits war froh, das Gelbe Trikot behalten zu haben. «Ich denke, wir sind beide auf einem sehr hohen Niveau. Die Etappen, die mir am besten liegen, liegen noch vor uns, es wird ein harter Kampf werden », prophezeite der Däne, dessen erfolgsverwöhntes Team Jumbo-Visma noch immer auf einen Etappensieg an dieser Tour wartet. Oldie Woods siegt als Ausreisser
Den Traum eines Etappensiegs erfüllte sich am Sonntag Michael Woods. Der Kanadier erreichte das Ziel als Solist und ehemaliges Mitglied einer ursprünglich 14 Fahrer grossen Fluchtgruppe über acht Minuten vor Pogacar und Vingegaard. Im harten Schlussanstieg gelang es Woods, den jungen Amerikaner Matteo Jorgensen nach dessen fast 50 Kilometer langen Solofahrt auf den letzten 400 Metern vor dem Gipfel noch abzufangen. Für den 36 Jahre alten Oldie aus dem Team Israel-Premier Tech war es der grösste Erfolg der Karriere, nachdem er 2018 und 2020 jeweils eine Etappe an der Vuelta hatte gewinnen können.