Chaos aus Angst vor Protesten
In Wimbledon klagen Fans über stundenlange Wartezeiten am Eingang wegen strengerer Kontrollen. Am Mittwoch schaffen es Klimaschützer dennoch mit Konfetti und Puzzle-Teilen auf den Platz.
Anstehen ist ja eine Art Volkssport der Engländer. Nun aber reisst sogar ihnen der Geduldsfaden. In den ersten Tagen gaben manche nach Stunden in der Warteschlange auf – und verzichteten auf den Besuch des Traditionsturniers in Wimbledon.
Becky Deeming, eine Eventmanagerin aus London, klagte ihr Leid der Zeitung «Guardian». Um 3.35Uhr in der Nacht sei sie angekommen, um sich in die Reihe der Leute ohne Ticket einzureihen. Um 13.15 Uhr sei sie dann auf der Anlage gewesen. Andere Male sei sie später gekommen und um 11Uhr, wenn die Spiele traditionell starten, drinnen gewesen. «Leute, die seit Jahren in der ‹Queue› für Tickets anstehen, sagen, so schlimm sei es noch nie gewesen», sagte sie genervt. «Und es hat keinerlei Kommunikation gegeben.» Kabelbinder und Sofortkleber
Der Grund für die langen Wartezeiten sind die Sicherheitskontrollen am Eingang, die für alle Besucher – vom Journalisten bis zu den Zuschauern – passieren müssen. In diesem Jahr wird besonders genau hingeschaut, und ein paar Artikel sind neu auf der Verbotsliste gelandet. Dazu gehören Kabelbinder, Kreidepulver, Sekundenkleber, Ketten und Vorhängeschlösser. Hintergrund ist die Angst vor Aktivisten der Organisation «Just Stop Oil» (Stoppt Erdöl).
Die ist nicht ganz unbegründet. Die Aktivisten nutzten in den vergangenen Wochen verschiedene grosse Sportanlässe in England – beim Cricket- Gipfeltreffen gegen Australien (Ashes), dem Rugby-Final oder der Snooker-WM – für Protestaktionen. Etwas, das die Chefin des All England Lawn Tennis Clubs um jeden Preis verhindern will.
Sally Bolton entschuldigte sich für die Verzögerungen, die durch die an den ersten drei Tagen häufigen Regengüsse nicht angenehmer wurden, verteidigte aber die erhöhten Sicherheits-massnahmen. «Wie wir bei anderen Sportveranstaltungen gesehen haben, gibt es keine Garantie, aber wir sind extrem zuversichtlich, dass unsere Massnahmen die richtigen sind», erklärte sie an einem kurzfristig anberaumten Medientreffen. Ironie des Schicksals: Während die einen gegen die Klimaerwärmung protestieren, erlebt Wimbledon den kühlsten und nassesten Start seit vielen Jahren. Protest mit Puzzle und Konfetti
In Wimbledon hatten die Klimaschützer trotz aller Vorkehrungen doch noch einen kurzen Auftritt. Am Mittwoch stürmten gleich zweimal Mitglieder der Gruppe «Just Stop Oil» während Matches auf den Platz Nummer 18. Eine Frau verteilte Konfetti und Puzzle-Teile, ein Mann setzte sich auf dem Rasen hin. Beide wurden von Sicherheitskräften abgeführt und der Platz mit Laubbläsern gereinigt. Die Spiele auf dem Platz wurden vorübergehend unterbrochen. Das Konfetti und die Puzzle-Teile hatten die Aktivisten im Karton eines Puzzles hineingeschmuggelt, das eine Abbildung des Centre Court zeigte.
«Wir möchten an alle appellieren, die Menschen zu respektieren, die nach Wimbledon kommen, um Tennis zu geniessen. In Ruhe und in einer sicheren Umgebung», hatte Bolton gesagt. Manchen war der Spass aber schon verdorben, bevor sie überhaupt auf der Anlage des All England Lawn Tennis and Croquet Club waren.
Eine Frau aus der US-Metropole Atlanta erzählte dem «Guardian», dass sie um die Mittagszeit aufgegeben ha-be – nach mehr als sieben Stunden anstehen. «Das ist unglaublich enttäuschend », klagte sie. «Wimbledon war auf meiner ‹Bucket list›. Ich liebe diese schöne Tradition und dieses Land. Es ist total schade, dass es anscheinend nichts mehr für die normalen Leute ist.» Die Massnahmen haben aber offensichtlich ihre Berechtigung, bisher verhinderten sie grössere Störungen.